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Auch noch Mann und Frau

Auch noch Mann und Frau

Paarbeziehung adé?

Der Wandel vollzieht sich überraschend: Als romantisch verliebtes Paar startet man in das Thema Familienplanung. Geniest Zeit und Gelegenheit, sich völlig aufeinander einzulassen. Ist sich Geliebte und Liebhaber. Die paar Aufgaben des Alltags teilt man gerecht auf. – Und als geschlechtslose Familienmanager steht man irgendwann ratlos voreinander.

Es erwischt wahrlich nicht jeden. Aber viele frische Eltern haben die Erfahrung gemacht, dass nach der Geburt eines Kindes von Romantik, Zärtlichkeit und erfüllter Sexualität kaum noch die Rede sein kann. „Ich glaube, in uns schlummert eine Art Programm, das automatisch abläuft, sobald man ein Kind bekommt. Und dieses Programm bringt viele Überraschungen mit sich“ sagt Bernd Niemann. Er ist Partnerschafts- und Sexualberater bei der Pro Familia in Bonn. Wesenszüge und Verhaltensweisen, meint Niemann, können sich mit der Geburt in eine völlig unerwartete Richtung ändern. Die Lebenssituationen vor und nach der Geburt sind grundverschieden. Daher lässt sich auch nicht vorhersagen, wohin sich die Partnerschaft entwickelt.

Bestätigung tut gut

Wenn alltägliche Banalitäten – sei es, wer wann die Spülmaschine ausräumt –  immer wieder Streit auslösen, wenn sich keiner vom anderen verstanden fühlt und sich eine Grundunzufriedenheit einschleicht, gibt’s ein Problem. „Ein Teil davon kann sein, dass sich das Paar nur noch als Vater und Mutter wahrnimmt und nicht mehr als Liebespaar“, sagt Bernd Niemann. Die gewohnte Nähe, Zärtlichkeit und Intimität zwischen ihnen ist fast verschwunden. „Unbewusst sehnen sich viele nach einer Form der Beziehung, die es mit Kind einfach nicht mehr gibt“, so der Berater. Das gilt auch für die Sexualität. Dabei geht es im Kern nicht unbedingt um sexuelle Befriedigung. Vielmehr fehlt beiden die Bestätigung, dass sie attraktiv und begehrenswert sind. Die Gründe dafür sind vielfältig. Beispielsweise ist der Alltag mit Kind gründlich durchgetaktet und für ein spontanes Liebesspiel fehlt schlicht die Gelegenheit. „Die Verantwortung, die Menge an Aufgaben – und natürlich der Schlafmangel lassen manche Paare regelrecht zu Funktionsgemeinschaften werden“, sagt Niemann. Hinzu kommt, dass viele ihr Elternsein und die Aufgabenverteilung eigentlich gleichberechtigt geplant hatten. Wenn sie dann vor der Frage stehen, auf wessen Einkommen leichter zu verzichten ist, kommen schnell klassische Strukturen zu Vorschein: Er verdient das Geld, sie kümmert sich um Kind und Haushalt. Wirklich glücklich sind beide damit aber nicht.

Besonders kompliziert wird es, wenn nicht beide Partner gleichermaßen einen Mangel empfinden. So bemerken es Frauen oft später als die Männer, dass die Zärtlichkeiten nachgelassen haben. Ihr Bedarf nach Nähe ist durch die – auch körperlich – enge Beziehung zum Kind weitgehend gedeckt. Bei den Vätern kann sich dann Eifersucht und das Gefühl ausgegrenzt zu sein einschleichen. Gleichzeitig hadert manche junge Mutter mit ihrem Selbstbild: Die Veränderungen ihres Körpers durch Schwangerschaft und Geburt lassen sie an ihrer Attraktivität zweifeln. „Weil aber die Männer ihre Partnerin unverändert attraktiv finden, sind sie irritiert und beziehen es auf sich selbst, wenn sich die Frau zurückzieht“, sagt Bernd Niemann.

Romantik kommt später

Der Kreislauf aus tatsächlichem oder gefühlten Rückzug und tatsächlicher oder gefühlter Zurückweisung ist ohne offene Gespräche nur schwer zu durchbrechen. Wenn die Paare im ganzen Familienmanagement keinen Weg finden, sich gegenseitig ihre Gefühle und Bedürfnisse mitzuteilen, wird es Zeit für Hilfe von außen. Bernd Niemann betont, dass es dabei um Beratung geht, nicht um Psychotherapie: „Die Paare, die zu uns kommen sind nicht krank. Wir bieten nur eine Gesprächsgelegenheit, in der wir gemeinsam nach Ideen und Lösungen suchen, um die Situation zu verbessern.“ Ein wichtiger Faktor dazu ist eine andere Organisation des Alltags. Die jungen Eltern sollen gezielt zeitliche Freiräume schaffen, in denen sie sich ganz auf einander einlassen. Und in diesen Freiräumen haben Familienprobleme nichts zu suchen. „Die Eltern sollen trainieren, wieder einfache, schöne Dinge miteinander zu unternehmen, Kochen, Kino, Hobbys teilen, sich über Themen unterhalten, die sie interessieren – die Romantik kommt später“, sagt Bernd Niemann. Auf diese Weise lässt sich nicht nur frische Energie tanken: Das Paar erlebt sich so auch wieder außerhalb aller Vater-Mutter-Rollen und kann neue Nähe und Intimität zueinander aufbauen.

Bernd Niemann ist Diplom-Pädagoge, Partnerschafts- und Sexualberater und stellvertretender Leiter der Beratungsstelle der Pro Familia in Bonn.