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Kind mit Behinderung: Nach vorne schauen und Chancen nutzen

Nach vorne schauen und Chancen nutzen

Der Entwicklungshelfer

Das Wort Entwicklung verliert seine Beiläufigkeit, wenn Babys nicht nach den üblichen Mustern Fortschritte machen: beim Krabbeln, Sitzen oder Sprechen. Eltern von behinderten Kindern stehen dann vor der Aufgabe, sich von familiären Idealbildern zu verabschieden. Für eine Familie aus Köln und ihren leicht behinderten Sohn sind viele Kleinigkeiten eine Kraftanstrengung – aber auch Gelegenheit, kleine und große Erfolge zu feiern.
Bis aus abhängigen Babys selbständige Erwachsene werden, durchlaufen Kinder unzählige Entwicklungsschritte: motorisch, geistig, sprachlich, emotional und sozial. Wie schnell die Schritte aufeinander folgen, ist höchst verschieden. Aber Eltern vergleichen ausgiebig und tauschen sich mit anderen Eltern über die Fortschritte aus. Stellen sie dann beispielsweise fest, dass ihr Säugling später als Gleichaltrige gezielt nach Gegenständen greift, sind sie verunsichert. Oft ist die Abweichung von einer gefühlten Norm völlig harmlos und wird rasch wieder aufgeholt. Manchmal ist sie aber auch ein Hinweis auf tatsächliche Entwicklungsstörungen.

Irgendwie anders

Als Jasper* vor sieben Jahren geboren wurde, gab es keine Anzeichen für irgendeine Beeinträchtigung. Aber als er ungefähr ein Dreivierteljahr alt war, wurden seine Eltern Ludger und Ellie skeptisch. Jasper verhielt sich anders, als sein großer Bruder Lasse im gleichen Alter. Und er konnte auch nicht, was seine Altersgenossen längst konnten: Die rollten sich über den Boden, stützten sich mit den Armen auf oder begannen zu robben. Ihm schien die dafür nötige Körperspannung zu fehlen. Beim Kinderarzt wurde er daraufhin eingehend untersucht. Eine konkrete Diagnose gab es nicht, nur die unbestimmte Feststellung, dass Jasper allgemein entwicklungsverzögert sei. „Uns hat eigentlich nie die Ursache interessiert“, erinnert sich Papa Ludger. „Ich wollte nur nach vorne schauen und die Situation einfach annehmen. Aber vielleicht war ich auch etwas kurzsichtig was die möglichen Konsequenzen angeht. Ellie hat sich darüber viel mehr Gedanken gemacht.“

An einem Strang ziehen

Bei Jaspers Mutter waren die Fragen direkt da. „Wird er je trocken werden? Ist er lebenslang auf unsere Pflege angewiesen?“ Sowohl zwischen den Eltern als auch nach außen entstand eine klare Rollenverteilung: Sie pessimistisch und sorgenvoll – er optimistisch und pragmatisch. „Eigentlich waren unsere Gefühle viel komplexer. Aber die Rollen hatten sich schnell so sehr verselbstständigt, dass wir kurz vor einem Familientreffen heftig stritten. Da haben wir beschlossen, für das Treffen einfach mal die Rollen zu tauschen und ganz anders als bisher über Jasper zu sprechen“, sagt Ludger. Die getauschte Perspektive wurde zum Augenöffner und brachte neues Verständnis für das Denken und Fühlen des Anderen. „Das war auch nötig, weil wir unsere Energie für die Alltagsprobleme brauchten und an einem Strang ziehen mussten“, sagt Ludger. Eng abgestimmt mit ihrem Kinderarzt und einem Neurologen des Sozialpädiatrischen Zentrums der Kölner Kinderkliniken starteten sie und Jasper ein umfassendes Programm: Ergotherapie, Physiotherapie und später auch Logopädie gehören seit dem zum Tagesablauf dazu. „Die vielen Therapien inklusive Vojta oder Bobath waren natürlich eine richtige Belastung für uns. Ellie und ich wollten uns aber nicht irgendwann vorwerfen, dass wir fahrlässig mit Chancen für Jaspers Entwicklung umgegangen wären.“

Eigene Ziele setzen

Auch für sich selbst suchten sie Unterstützung. Sie fanden einen Elternkurs, wo sie auf Väter und Mütter in ähnlichen Situationen trafen, Erfahrungen austauschten und nicht ständig Selbstverständlichkeiten erklären mussten. Gelegentliches Paarcoaching hilft Ludger und Ellie, ihren Alltag besser zu organisieren und Spannungen zu vermeiden. Und sie lernten, das Wort Behinderung unverkrampft auszusprechen, es als normale Beschreibung für Jaspers Situation zu sehen – und die ist in mancherlei Hinsicht kompliziert: Erst mit drei Jahren lernte Jasper zögerlich das Laufen, Balancieren ist auch heute noch schwierig, an Fahrradfahren vorerst nicht zu denken. Sprachlich hat er enorm aufgeholt. „Jasper spricht etwas verwaschen. Aber er hat Wortwitz und echt schrägen Humor“, wie Ludger sagt. Nur seine Fähigkeit, konzentriert an einer Sache zu bleiben und mit Frustration umzugehen, steht ihm oft im Weg. Hausaufgaben werden so zu einer enormen Kraftanstrengung – für ihn und die Eltern. Dennoch haben sie sich zum Wechsel von einer Förderschule auf eine Regelschule entschlossen. „Jasper ist durchschnittlich intelligent. Er kann sich gut in Regeln einfinden, ist offen gegenüber Menschen und hat ein feines soziales Gespür. Wir glauben einfach, dass er in einer normalen Grundschule besser aufgehoben ist“, sagt Ludger. Für den Umgang mit Frustration ist auch Judo eine gute Übung. Ludger fährt ihn einmal in der Woche zum Training und schaut zu, wie Jasper regelmäßig auf der Matte landet: „Jasper und ich haben darüber gesprochen, dass er in seiner Gruppe wohl nie der Beste sein wird. Aber er kann es schaffen, irgendwann vielleicht nur noch der Zweit- oder Drittschlechteste zu sein. Und das ist ein tolles Ziel.“*Alle Namen von der Redaktion geändert.