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Kinder entdecken ihre Möglichkeiten

Kinder entdecken ihre Möglichkeiten

Spiel in der Natur

In einer nicht vom Menschen gestalteten, sich selbst entwickelnden, lebendigen Umgebung sind Kinder in ihrem Element. Naturerleben, so sagen Experten, ist für ein gesundes Aufwachsen unverzichtbar. Väter sind gefragt, ihren Kindern den Zugang zur Natur zu eröffnen.
„In der Natur begegne ich mir als Naturwesen selber. Was ich dort erfahre, bin ich in anderer Gestalt“, sagt der Naturphilosoph und Buchautor Dr. Andreas Weber aus Berlin. „Das klingt paradox, doch in der Natur kann der Mensch Aspekte von sich selbst erleben, die er noch nicht kennt. Sie vermittelt ihm ein Gefühl dafür, was es heißt, am Leben zu sein.“ Daher, so Andreas Weber, sei Natur ein unersetzlicher Lern- und Erfahrungsraum für Kinder. „Die Natur urteilt nicht und sagt nicht ‚nein’. Gleichzeitig zeigt sie Kindern ihre Grenzen und lässt sie spüren, was ihnen guttut und was nicht.“ Sein Naturbegriff ist weit und völlig unromantisch. Damit ein Areal diesem Begriff entspricht und „Schauplatz von Freiheit“ sein kann, sollte es drei Voraussetzungen erfüllen: „Es ist nicht geplant und gestaltet, sondern entstanden und entwickelt sich natürlich weiter. Es gibt keine Erwachsenenherrschaft, die sagt, was getan werden muss, oder kontrolliert wird. Und es ist erlaubt, die Umgebung zu verändern und so Spuren zu hinterlassen“, erklärt der Philosoph. „Ein verlassenes Grundstück erfüllt die Kriterien zum Beispiel ebenso, wie ein Buschgelände oder Waldstück. Die Großelterngeneration von heute berichtet zum Beispiel, dass überwucherte Ruinen ihre Lieblingsspielplätze waren.“

Spielorte, die Fantasie und Kreativität anregen

„Solche Areale haben für Kinder einen Aufforderungscharakter, an den kein noch so durchdacht gestalteter Spielplatz heranreicht. Das konnten wir – wenig überraschend – auch in einem Forschungsprojekt belegen“, sagt Dr. Hans-Joachim Schemel, der in München ein Büro für Umweltforschung und Stadtentwicklung betreibt und Sprecher des Arbeitskreises Städtische Naturerfahrungsräume ist. „Spielplätze mit ihren Geräten zum Schaukeln, Klettern, Balancieren oder Rutschen geben Kindern Bewegungsabläufe vor. Das engt ein. Der Natur überlassene Areale dagegen regen durch ihre Vielfalt an Eindrücken und Möglichkeiten sowie durch ihre Gestaltbarkeit Fantasie und Kreativität an“, berichtet der Landschaftsarchitekt und Stadtplaner. Auch in Städten gibt es vielfach noch Plätze, an denen Kinder solche Naturerfahrungen machen könnten. Doch diese Räume seien oft nicht zugänglich. Außerdem nehme ihre Anzahl ab, denn bei Gartenbau- und Stadtplanungsämtern herrsche in den meisten Fällen die Auffassung: Freiflächen müssen gestaltet sein. „In München gab es zum Beispiel einen großen Erdhaufen, der durch den Aushub für einen U-Bahn-Bau entstanden und nach einiger Zeit mit Vegetation überzogen war. Die Kinder liebten den Hügel, den sie als Matschberg bezeichneten. Doch trotz massiver Elternproteste ließ die Stadt den unordentlichen Berg abtragen“, erzählt der Fachmann, der sich bundesweit als Planer und Berater dafür einsetzt, Naturräume zu erhalten bzw. zu schaffen. Andreas Weber erläutert: „Der Reiz dieser Spielräume für Kinder ist für Erwachsene zumeist unsichtbar.“

Ist Spielen in der Natur gefährlich?

„Es droht Gefahr“, mit diesem Argument verhindern nicht nur Verantwortliche in Kommunen, sondern vielfach auch Eltern kindliches Naturerlebnis. Dass Spielen in einem natürlichen Umfeld gefährlicher ist als auf einem angelegten Spielplatz, sei aber ein Trugschluss, sagt Hans-Joachim Schemel. „Kinder haben eine hohe Risikokompetenz und ein eigenes Sicherheitsgefühl. In der Natur gibt es erkennbare Gefahren, die sie wahrnehmen und mit denen sie daher umgehen können. Sie wissen, dass Äste eventuell morsch sind oder dass ein unebener Untergrund, auf dem spitze Steine oder Scherben liegen, ein Verletzungsrisiko birgt und verhalten sich entsprechend aufmerksam. Auf Spielplätzen sind Risiken, wie eine rostige Schraube an der Schaukel oder ein Vertiefung auf sonst ebenem Gelände, dagegen oft verborgen, so dass sich die Kinder nicht darauf einstellen können.“ Kinder seien selbst wild, für sie sei ein wildes Gelände sozusagen der natürliche Lebensraum, meint Andreas Weber und fordert Väter auf, Kindern Bewegungsfreiheit zurückzugeben.

Väter machen Naturerfahrungsräume zugänglich

Vor allem Kinder in Städten, in denen das Leben in und mit der Natur nicht mehr zum Alltag gehört, entwickeln jedoch nicht automatisch einen Bezug dazu. Hans-Joachim Schemel sagt: „Wenn Naturerlebnisse in den ersten Jahren weitgehend fehlten, müssen Kinder später manchmal erst ihre Scheu überwinden, bevor sie deren Reiz erfahren können.“ Mädchen und Jungen, die zusammen mit ihren Vätern von klein auf regelmäßig draußen buddeln und matschen, Ameisen und Schnecken beobachten und Spiele spielen, entwickeln diese Distanz gar nicht erst und ekeln oder fürchten sich in der Regel auch nicht vor den Tieren und Pflanzen. Für Väter und Kinder sind dies Zeiten intensiven Zusammenseins echte Qualitätszeit. „Für solche Erlebnisse mit kleinen Kindern reicht der eigene Garten, wildere Stellen im Park oder auf anderen Grünflächen“, sagt Hans-Joachim Schemel. Auch größere Kinder, die einer natürlichen, ungestalteten Umgebung mit skeptisch gegenübertreten, können die Ermutigung ihrer Väter brauchen, diesen Raum für sich zu erobern. Wenn sie größer sind, sollten die Jungen und Mädchen in der Kindergruppe – von Erwachsenen unbeaufsichtigt – in der Natur spielen dürfen, denn erst dann entfaltet sich dessen Reiz als Selbsterfahrungserlebnis in Freiheit.

Und wenn Kinder lieber drinnen bleiben?

Andreas Weber, selbst Vater, sagt: „Das Spielen draußen gehört heute nicht mehr so selbstverständlich zum Kinderleben wie früher. Elektronische Unterhaltungsmedien ziehen die Kinder an wie bunte Lutschbonbons und sie haben einfach ‚keinen Bock‘, raus zu gehen.“ Er rät Vätern und Müttern, den Konflikt nicht zu scheuen und die Kinder notfalls einfach „rauszuschmeißen“. „Kaum stehen sie vor der Tür, haben sie ihren Widerwillen zumeist vergessen, denn sie spüren sehr genau, dass es ihnen gut tut, draußen zu sein. Das berichten zumindest meine Kinder“, erzählt er. Idealerweise verabreden mehrere Eltern ein solches Vorgehen, so dass die Jungen und Mädchen draußen wieder Spielkameradinnen und -kameraden finden.

Wilde Flächen in der Stadt

Ideal wäre es, sagen die Experten, wenn die Kinder im Wohnumfeld nicht nur für Autos optimierte Gelände, sondern umfangreiche unverbaute Areale vorfänden. Väter, sagen sie, könnten sich in ihren Kommunen dafür einsetzen, dass entsprechende Flächen erhalten bleiben oder eingerichtet werden. Andreas Weber stellt sich eine neue Kultur der Aneignung vor, die er – in Anlehnung an die Protestbewegung „Occupy Wall Street“ – „Occupy Stadtpark“ (Besetzt den Stadtpark) nennt. Um den Natur- und Gestaltungsnotstand von Kindern in Städten deutlich zu machen, plant er in Berlin gerade ein Projekt, bei dem Kinder eine ganze Straße in Wildnis verwandeln werden. (vaeter.nrw) Text aktualisiert am 8. Juni 2016