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Wie Väter helfen können

Wie Väter helfen können

ADHS

Die Diagnose einer ADHS-Erkrankung ist oft ein Schock für die ganze Familie. Dabei gibt es vieles, was betroffenen Kindern und Jugendlichen sowie deren Eltern helfen kann. Nachdem die Diagnose gesichert ist, wird ein verständnisvolles Umfeld wichtig, das die Kinder mit den richtigen Angeboten und Therapien unterstützt.

Dr. Klaus Skrodzki ist selbst Vater eines Kindes mit der Diagnose ADHS. „Die Diagnose war ein Grund für mich, mich auch als Kinder- und Jugendarzt besonders mit dieser Krankheit zu beschäftigen.“ Ärzte in aller Welt sind sich im Großen und Ganzen einig darüber, dass ADHS zu einem hohen Anteil (ca. 80 Prozent) genetisch bedingt ist. Nach aktuellem Stand der Wissenschaft ist ADHS eine Entwicklungsstörung der Selbstkontrolle, also der Steuerung durch das Gehirn für die Bereiche Motivation, Gefühle, Wahrnehmung und Bewegungsverhalten – diese sind bei ADHS-Patienten nicht ausreichend vernetzt.

‘Genetisch bedingt‘ heißt aber nicht, dass die Eltern ebenfalls betroffen sind, die Krankheit kann Generationen überspringen oder beim Onkel aufgetreten sein. Wichtig hierbei: „ADHS ist keine Störung, die durch falsche Erziehung entsteht“. Aber, betont der Arzt, eine „ungünstige“ Erziehung kann den Verlauf sehr negativ beeinflussen. Deshalb ist es sehr wichtig, dass sich die Eltern möglichst frühzeitig damit auseinandersetzen und dem Kind Hilfe anbieten.

Die richtige Diagnose

Doch vor all dem steht die korrekte Diagnose: Die ist nicht einfach, denn zum einen gibt es verschiedene Ausprägungen – von leichten, mittleren bis zu katastrophalen Verläufen der Störung – und zum anderen können alle Symptome auch ohne ADHS-Erkrankung auftreten. „Wenn ich also wissen will, ob ein Kind oder Jugendlicher an ADHS erkrankt ist, muss ich immer schauen, ob seine Verhaltensweisen in Menge, Dauer und Häufigkeit noch oder eben nicht mehr altersgerecht sind. Deshalb ist die wichtigste Voraussetzung für eine korrekte Diagnose eine sehr sorgfältige Anamnese, also das Erstellen der Krankengeschichte. Dazu müssen Ärzte gut zuhören und möglichst viele Informationen von Eltern, Erzieherinnen und Erziehern, Lehrerinnen und Lehrern – also allen, die mit diesem Kind mehr zu tun haben – zusammentragen. Oft begleiten wir ein Kind ja über die Vorsorge- und sonstigen Untersuchungen schon über einen längeren Zeitraum, so dass wir da die Entwicklung gut beobachten können“.

Denn wer hin und wieder zappelig ist oder sich dem Klassenkameraden gegenüber ohne ersichtlichen Grund aggressiv verhält, hat noch lange kein ADHS. Solche Auffälligkeiten sollten länger als sechs Monate und in unterschiedlichen Lebenssituationen auftreten, um einen Verdacht begründen. Letzteres betont Dr. Skrodzki. Wenn ein Kind beispielsweise nach der Scheidung seiner Eltern einige Zeit auffällig wird, hat das nichts mit ADHS zu tun.

Die wichtigsten Symptome

Kinder, die an ADHS leiden, haben eine so genannte Aufmerksamkeitsstörung. „Das bedeutet nicht, dass sie sich niemals konzentrieren können“, erklärt Klaus Skrodzki. „Wenn etwas besonders interessant ist, kann sich das Kind auch stark fokussieren. Ansonsten aber nimmt es alles gleichstark wahr, was um es herum vorgeht: den Banknachbarn, der seinen Bleistift spitzt, ebenso wie den Lehrer oder das Flugzeug, das draußen vorbeifliegt. Das Kind ist in dieser Situation nicht in der Lage zu bewerten, welchem Reiz es Aufmerksamkeit schenken sollte. Hier liegt auch der Unterschied zu einem Kind, das beispielsweise ‘bockig‘ ist und dem Lehrer nicht zuhören will. Dieses Kind weiß, welchem Reiz es sich eigentlich zuwenden sollte. Ein Kind mit der Diagnose ADHS weiß das höchstens vom Kopf her, kann es aber nicht umsetzen, wendet sich also automatisch dem Flugzeug oder dem Bleistiftspitzen zu. Ein 16jähriger Patient hat mir mal gesagt: ‘Es kommt so viel von allen Seiten. Ich muss überall zuhören, hinsehen, hinfassen. Mir platzt fast der Kopf‘.

Außerdem handeln Menschen mit ADHS sehr impulsiv. Sie sagen und tun alles ungefiltert und sofort, sind nicht in der Lage, sich jeweils angepasst z.B. in einer Kirche anders zu verhalten als auf dem Sportplatz. „Sofortiges Reagieren auf äußere Reize und Handeln, ohne die nonverbale Kommunikation mit einzubeziehen, sind typisch für Kinder und Jugendliche mit ADHS“, verdeutlicht Klaus Skrodzki. „Sie schreien Antworten einfach heraus, reden dauernd und überall dazwischen oder erzählen Dinge, die nicht zur Sache gehören. Ihre Impulsivität geht so weit, wie mir ein Patient erzählte, dass er nach einer Frage des Lehrers über alle Tische und Bänke und die Klassenkameraden hinweg zur Tafel lief, um das Ergebnis hinzuschreiben – aus lauter Begeisterung, dass er dieses eine Mal etwas wusste“.

Die Folgen: Ausgrenzung

Solche Verhaltensweisen und ständige motorische Aktivität stören die Umgebung, lassen die Betroffenen auffallen und oft zu Außenseitern werden. Dr. Skrodzki berichtet: „Sie nesteln an sich selbst herum und kauen an ihrer Kleidung, müssen plötzlich aufstehen und herumlaufen, können ihre Körperkraft nicht richtig dosieren. Durch ihre Unruhe werfen sie ständig etwas um, fallen vom Stuhl oder über die eigenen Füße. Unruhe und Hyperaktivität sind bei Jugendlichen nicht mehr so ausgeprägt wie im Kindesalter. Aber ihre weiterhin schwache Körperkontrolle lässt sie mit den Fingern trommeln, mit dem Stuhl kippeln, sie rutschen hin und her, kritzeln und fummeln. Ein 17-Jähriger hat zu mir gesagt: ‘Ich muss immer mit den Fingern sehen‘. Die Mutter eines 14-Jährigen erzählte: ‘Alles, was er in die Hand nimmt, geht kaputt: der Staubsauger, der Zirkel und der MP3 Player. Einfach so, ohne dass er es absichtlich tut!‘“
Kinder und Jugendliche mit ADHS lernen über ihre Umgebung recht schnell: Ich bin schlecht, unpassend und die Anderen mögen mich nicht. Väter sollten helfen, diesen destruktiven Kreislauf so früh wie möglich zu durchbrechen.

Hilfe und Therapie

Menschen, die an ADHS leiden, brauchen klare Regeln und Strukturen. „Die sind generell für Kinder und Jugendliche wichtig. Für ADHS-Betroffene aber ist es eine Katastrophe, wenn ihre Eltern sie ‘laufenlassen‘“, betont Klaus Skrodzki. „Auch können Väter ihnen durch direkte Ansprache helfen: Das Kind immer anschauen, anfassen – dem Kind über alle Sinne vermitteln, was sie mitteilen möchten.“.

Therapien sollten immer psychisch und physisch wirken. Väter sollten – wenn möglich – das Umfeld so organisieren, dass es ihrem Kind gut tut. Das bedeutet: eine Schule oder ein Kindergarten mit großen Gruppen oder einem sehr offenen Angebot ist für Kinder mit ADHS nicht geeignet. Fußball ist als Mannschaftssport in einer großen Gruppe, der hohe Anforderungen an das Teamverhalten stellt – für Kinder mit ADHS-Diagnose meist wenig geeignet. Besser wäre da zum Beispiel Taek Wan Do: wenig Beteiligte, klare Anweisungen usw. In größeren Städten gibt es auch spezielle Sportgruppen für ADHS-Betroffene.

Und als letzte Möglichkeit können Medikamente verordnet werden. „Das sind sogenannte Stimulanzien. Man kann natürlich fragen“, so Dr. Skrodzki, „warum man bei diesem Krankheitsbild etwas verordnet, das anregt. Diese Medikamente stimulieren Bereiche im Gehirn, die für die Selbstkontrolle zuständig sind. Dadurch werden Aufmerksamkeit und Motorik verbessert. Das funktioniert bei einem großen Teil der Patientinnen und Patienten sehr gut, aber leider nicht immer.“ Die Nebenwirkungen hält der Kinderarzt für gering, überschaubar und gut zu „handhaben“. Er betont: Nach Aspirin gibt es über ADHS-Medikamente die meisten wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Das Feld ist sehr gut erforscht und das schon seit mehr als 60 Jahren.

Und noch etwas stellt Dr. Skrodzki klar: „Die Eltern, die zu uns Kinder- und Jugendärzten kommen, möchten mehrheitlich keine Medikamente für ihr Kind – das ist ein Klischee, ein Mythos der Medien, dass die Eltern ihre Kinder ruhigstellen wollen! Ganz im Gegenteil: Sie versuchen es oft noch sehr lange ohne Medikamente und kommen erst darauf zurück, wenn der Leidensdruck für sie und ihr Kind unerträglich geworden ist!“
(vaeter.nrw)

Weitere Informationen:
Bundesgeschäftsstelle: ADHS Deutschland e.V.
Selbsthilfe für Menschen mit ADHS
Poschingerstr. 16; 12157 Berlin
Tel. 030 85 60 59 ; Fax 030 85 60 59 70
e-mail: info [at] adhs-deutschland.de (info[at]adhs-deutschland[dot]de)
Internet: www.adhs-deutschland.de


Dr. Klaus Skrodzki arbeitet als Kinder- und Jugendarzt seit mehr als 30 Jahren in eigener Praxis. Er ist stellvertretender Vorstand der Arbeitsgemeinschaft ADHS der Kinder- und Jugendärzte e. V., Beisitzer im Vorstand des ADHS Deutschland e. V., sowie Mitglied der Leitungsgruppe des Zentralen-ADHS-Netzes und Mitglied im ADHS-Netz-Forchheim. Außerdem ist er als Referent unter anderem für Krankenkassen und als Seminarleiter für Ärzte, Therapeuten, Erzieher, Lehrer und Eltern tätig. Er ist Vater von zwei erwachsenen Kindern, darunter einem betroffenen Sohn.

 

Text aktualisiert am 29.05.2016