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Vater und Kind: Eine Bindung fürs Leben

Vater und Kind: Eine Bindung fürs Leben

Interview

Eine typische Situation: Vater und Kind fahren gemeinsam Zug. Kind nörgelt – Vater reagiert nicht. Das Kind fängt an zu schreien, der Vater schreit zurück. Ein Beobachter könnte das für eine schlechte Vater-Kind-Bindung halten. Aber ist sie das? Auf jeden Fall wird das Thema Bindung viel diskutiert. Dr. Andreas Eickhorst erklärt, was es damit auf sich hat.

vaeter.nrw: Alle Welt spricht von Bindungen, Bindungsangst und Bindungsstörungen. Aber ist alles, was wir im Alltag als Bindung bezeichnen auch im wissenschaftlichen Sinne eine solche?
Dr. Andreas Eickhorst: Sie haben Recht, im Alltag sprechen wir gern von Bindung, der Begriff meint aber eigentlich etwas viel Komplexeres als man zunächst glaubt. Ihr Beispiel zeigt das ganz gut: Wir sehen einen Vater mit einem Kind interagieren und schließen daraus, ob eine gute oder schlechte Bindung besteht. Tatsächlich ist Bindung aber ein komplexes Verhaltensprogramm, das auf einer Vielzahl von einzelnen Interaktionen beruht. Eine kurze Beobachtung wie die bei der Zugfahrt ist also gar nicht repräsentativ, um über eine Bindung zu urteilen. Prinzipiell kann man sagen, dass es sehr lange dauert, um eine sichere Bindung aufzubauen, es ist aber auch entsprechend schwierig, sie wieder abzubauen.

vaeter.nrw: : Sie haben eben das Wort „sicher“ benutzt. Gibt es denn auch „unsichere“ Bindungen? Und wie entsteht eine Vater-Kind-Bindung überhaupt?
Dr. Andreas Eickhorst: In der Tat spricht man nicht von guten und schlechten Bindungen, sondern von sicheren und unsicheren. Die Bindung von Vater und Kind beginnt mit der Geburt. Das Baby ist hilflos und auf Schutz – zum Beispiel durch den Vater – angewiesen. Es sucht Trost, Nähe und Geborgenheit und äußert das zum Beispiel durch Schreien. Der Vater wird dadurch in der Regel aktiviert, schnell zu reagieren. Eine sichere Bindung entsteht, wenn der Vater die Bedürfnisse des Kindes zufriedenstellend befriedigt. Wichtig ist, dass das auf eine bestimme Weise passiert: Erstens prompt – also nicht erst eine Stunde später –, zweitens angemessen – also wenn das Kind Hunger hat, es auch zu füttern und nicht nur zu trösten – und drittens zuverlässig – also, dass der Vater nicht mal mit Zuneigung und mal mit Abneigung reagiert. Wenn all das passiert, entwickelt sich eine sichere Bindung zwischen Vater und Kind. Wobei hier die Qualität wichtiger ist als die Quantität der Interaktionen. Auch wenn Vater und Kind sich nur einmal pro Woche sehen, spricht das nicht per se gegen eine sichere Bindung zueinander. Ist aber das Verhalten des Vaters ambivalent und für das Kind nicht verlässlich, dann reagiert dieses mit einem Schutzmechanismus. Weil seine Erwartungen nicht erfüllt werden, investiert es weniger in die Beziehung, um sich selbst vor weiteren Enttäuschungen zu schützen. In diesem Fall spricht man dann von einer unsicheren Vater-Kind-Bindung. Und diese kann auch entstehen, wenn sich Vater und Kind täglich sehen und miteinander interagieren.

vaeter.nrw: Verändert sich diese Bindung im Laufe eines Lebens? Ist sie zum Beispiel stärker, wenn das Kind noch klein ist und nimmt dann mit zunehmenden Alter des Kindes ab?
Dr. Andreas Eickhorst: Die Bindung selbst verändert sich nicht, einmal aufgebaut ist sie relativ stabil. Was sich verändert ist ihre Bedeutung. Wenn der Vater alleinige Bezugsperson ist, zum Beispiel weil die Mutter bei der Geburt verstirbt und daraufhin Vater und Kind isoliert irgendwo wohnen, ist die Abhängigkeit des Kindes vom Vater entsprechend groß und die Bindung omnipotent. Generell gilt aber: Je älter ein Kind wird, desto mehr Personen lernt es kennen (zum Beispiel in der Kita oder Schule), zu denen es dann auch eine Bindung aufbaut. Dadurch, dass es nun andere Ansprechpartner gibt, ist die Bindung zum Vater nicht mehr so zentral. Während der Pubertät scheint der Freundeskreis viel bedeutender, später dann der Partner oder die Partnerin. All diese Veränderungen wirken sich aber nicht auf die eigentliche Vater-Kind-Bindung aus. Diese bleibt so stabil oder instabil, wie sie aufgebaut wurde – es sei denn sie wird durch ein Trauma geschädigt.

vaeter.nrw: Wenn Sie Trauma sagen, meinen Sie damit vor allem Gewalt oder sexuelle Übergriffe? Und gibt es noch andere Ereignisse, die die Vater-Kind-Bindung schädigen können?
Dr. Andreas Eickhorst: Die von Ihnen genannten Beispiele sind ganz klar Traumata. Aber ein Trauma kann zum Beispiel auch dann entstehen, wenn der Kontakt zum Vater plötzlich abbricht und das Kind dies nicht verstehen und verarbeiten kann. Kinder geben sich oft selbst die Schuld an der Trennung der Eltern, sie verstehen nicht, dass es auch außerhalb der Dreier-Konstellation Mutter-Vater-Kind Faktoren gibt, die die Trennung verursacht haben. Wenn nun nach der Trennung der Kontakt zwischen Vater und Kind abbricht, ohne dass die Mutter dem Kind erklärt warum, kann dies ein Trauma verursachen und die Vater-Kind-Bindung schädigen. Bei Bindungsstörungen – also wenn Vater und Kind überhaupt nicht als Bindungsbeziehung interagieren – kann man in einer Therapie versuchen, zumindest eine funktionale Bindung herzustellen. Erziehungsberatungen oder auch Eltern-Säuglings-Beratungen, die es in jeder größeren Stadt gibt, sind hier erste Ansprechpartner.

vaeter.nrw: Nun haben wir die ganze Zeit von Vater-Kind-Bindungen gesprochen. Dabei wird vor allem der Mutter-Kind-Bindung eine besondere Bedeutung beigemessen. Sie trägt das Baby aus und stillt es. Ist diese Bindung daher stärker als die zwischen Vater und Kind?
Dr. Andreas Eickhorst: Wissenschaftlich gibt es keinen Beweis dafür. Die Bindungseigenschaften sind bei Mutter und Vater gleichermaßen ausgeprägt und auch die Bindungsmuster sind gleich. Bei beiden wird im Hirn das Bindungshormon Oxytocin ausgeschüttet, zum Beispiel wenn sie ein weinendes Kind auf dem Arm halten. Beide Bindungen sind absolut gleichwertig. Die Natur hat sich das clever ausgedacht, denn so kann der Vater zum Beispiel beim Tod der Mutter diese in gewisser Weise ersetzen. Allerdings ist die Art der Bindung eine andere, bei ihr ist die Förderung der Exploration zentraler als bei jener der Mutter. Das hat auch mit unserem (immer noch) aktuellen gesellschaftlichen Muster der Arbeits- und Rollenaufteilung zu tun: Dies kann dazu führen, dass eine Mutter dem Kind eher Trost schenkt und der Vater eben stark spielerisch-explorativ interagiert. Wissenschaftler haben zudem herausgefunden, dass wenn von Anfang an eine sichere Vater-Kind-Bindung besteht, sich dies positiv auf die Entwicklung auswirkt. Diese Kinder sind dann später besser in der Lage auch eine sichere Bindung zum Partner oder zur Partnerin aufzubauen.

Zur Person:

Dr. Andreas Eickhorst

Dr. Andreas Eickhorst ist Diplom-Psychologe und beim Deutschen Jugendinstitut in München angestellt. Schon in seiner Diplomarbeit beschäftigte er sich mit Vater-Säuglings-Interaktionen und Theorien über Vaterschaft. Diesem Thema ist er treu geblieben und arbeitet seitdem unter anderem in der Vaterforschung, zu Eltern-Kind-Interaktionen und in der Familienpsychologie.



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Text aktualisiert am 22. Juni 2016