Vater ist, das was du draus machst!
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außergerichtliche Einigung

Alltag des Scheidungsanwalts

Das letzte Gefecht

Im Jahr 2013 wurden bundesweit fast 170.000 Ehen geschieden. Eine Scheidung markiert den Punkt, an dem eine Ehe als endgültig gescheitert gilt. Das hat Auswirkungen auf alle Bereiche des bislang gemeinsamen Lebens. Was früher für beide Partner da war, muss jetzt aufgeteilt werden. Oft ergeben sich daraus Streitigkeiten: vom Vermögen bis zum Besuchsrecht für die Kinder.
Wolfgang Stieghorst, Fachanwalt für Familienrecht aus Halle in Westfalen, berät Frauen wie Männer. Für seine männlichen Mandanten hält er einen dringenden Rat bereit: „Lassen Sie uns die Scheidung so schnell wie möglich machen.“ Denn der Zeitpunkt der Scheidung entscheidet darüber, wie viel Geld ein Mann seiner Ex-Frau zahlen muss – direkt wie indirekt. Die in der Ehezeit erworbenen Rentenansprüche von Ehepartnern werden gleich nach der Scheidung vollständig geteilt. Egal, ob gesetzliche oder private Rente, stets gilt: Halbe-halbe, und das sofort. Der sogenannte Versorgungsausgleich wird vom Familiengericht durchgeführt. „Ich hatte mal einen Mandanten, der lebte bereits elf Jahre von seiner Frau getrennt, ehe er mich aufsuchte – der ist fast vom Stuhl gefallen, als er von den Rentenansprüchen erfuhr“, sagt Stieghorst. Auch Lebensversicherungen, Sparvermögen und Immobilien tauchen in der Vermögensbilanz beim Zugewinnausgleich auf: Derjenige, der mehr hat, muss vom Mehrbetrag die Hälfte an den Expartner abgeben.

Das Kind als seelische Daumenschraube

Das Aufteilen des materiellen und geldwerten Besitzes ist das eine Thema, das andere sind die gemeinsamen Kinder. Nach der räumlichen Trennung von Vater und Mutter, passiert erst einmal nichts. In der Regel nimmt die Mutter das Kind und der Vater muss sich um den Umgang kümmern. Das Problem ist für den Vater dann häufig: Wann sehe ich mein Kind? „Die Kinder sind oft die letzte Waffe, die Frauen haben – wenn nichts mehr hilft, dann können sie mit dem Entzug von Umgang drohen“, sagt Stieghorst, „Für einige Väter schrillen dann die Alarmglocken, sie sagen sich, wenn ich jetzt nicht tätig werde, wird es noch schlimmer.“ Aber eben nur für einige. „Leider“, sagt Stieghorst, „ist es auch so, dass vielen Männern der Umgang mit den Kindern nicht ganz so wichtig ist.“

Männern mangelt es an Weitsicht

Da schmerzen die finanziellen Einbußen manchmal doch mehr als der verhinderte Umgang mit dem eigenen Kind. Oft erst mit der Unterhaltsforderung vom Anwalt der Ehefrau kommen viele Männer bei Wolfgang Stieghorst in die Kanzlei. „Wenn ein Mann mit den Worten zu mir kommt: 'Die will 1.000 Euro haben, wie geht das denn?“ – dann ist er schon mittendrin', sagt Wolfgang Stieghorst. Von Frauen, die ihn als Anwalt aufsuchen, ist er auch anderes gewohnt. Stieghorst kennt Fälle, da erkundigen sich die Ehefrauen mit folgendem Interesse bei ihm: „Ich möchte in eineinhalb Jahren geschieden werden – was muss ich tun?“ „Frauen wissen meist ziemlich genau, was sie da tun und sind in der Regel sehr gut organisiert. Männer sind da eher ein bisschen phlegmatisch“, sagt Stieghorst.

Der steinige Weg zum Einvernehmen

Stieghorst arbeitet nach folgendem Prinzip: „Ich biete zunächst ein 4er-Gespräch an: Mein Mandant und ich und die Frau mit ihrem Anwalt, damit nicht soviel geschrieben werden muss und keine Hemmnisse aufgebaut werden.“ Dass dann oft doch geschrieben wird, mühsam Einkommensnachweise und Besitzverhältnisse geklärt werden müssen, um den zu zahlenden Unterhalt realistisch zu ermitteln und die Zeiten auszuhandeln, in denen der Vater seine Kinder sehen kann – das hat nicht immer nur mit den Mandanten zu tun: „Es gibt Kollegen, mit denen man keine vernünftige Regelung hinbekommt.“ Aber auch neue Partner können dazu führen, dass eine außergerichtliche Einigung sehr schwierig werden kann. Nicht selten werden die Ehestreitigkeiten weitergetragen, neue Partner und Anwälte, Familienmitglieder und schlimmstenfalls die Kinder selbst werden instrumentalisiert. „Auch wenn Untersuchungen sagen, dass 75 Prozent der Mandate außergerichtlich geklärt werden, ich schätze es sind lediglich 30 bis 40 Prozent“, sagt Stieghorst, der auch Mediator ist. Obwohl die Mediation eine gute Alternative zu streitigen Gerichtsverfahren ist, wendet Stieghorst das Instrument zur Schlichtung in Scheidungsfällen eher selten an. „Man sagt, zwölf Stunden Mediation können zwei Jahre Rechtsstreitigkeiten beilegen. Aber in ländlichen Regionen ist Mediation in Sachen Ehescheidungen noch nicht so gefragt, in Großstädten funktioniert das besser“, sagt Stieghorst. Aber auch die akute emotionale Belastung spielt hier eine wichtige Rolle: „Wenn der Mann seine Frau jahrelang betrogen hat – oder andersherum – hat der Betrogene sicherlich kein Interesse daran, es direkt mit einer Mediation zu versuchen.“ Diese Einsicht kommt vielleicht erst später, das Einvernehmen oft auch. „Wichtig ist, dass es überhaupt kommt“, sagt Stieghorst. „Wenn der Streit zwischen den Eltern beigelegt ist, dann funktioniert es auch wieder mit den Kindern.“ (vaeter.nrw)   Text aktualisiert am: 11.06.2016

Fronten aufweichen

Trennungskinder

„Manchmal passieren Wunder, aber meistens ringen wir lange um Lösungen.“ Michael Braun hat viele hochstrittige Auseinandersetzungen erlebt, denn er war 15 Jahre lang in einem Jugendamt beschäftigt. Seine Bilanz: „Ich habe nur wenige Konflikte begleitet, in denen nichts mehr ging – meistens haben wir Lösungen gefunden. Aber wir mussten mühsam darum ringen und diese Prozesse dauerten sehr lange.“
Von Hochstrittigkeit sprechen Michael Braun und seine Kollegen, wenn die Positionen auf beiden Seiten so verhärtet sind, dass der Vater und die Mutter des Kindes bzw. der Kinder es nicht mehr schaffen, gemeinsam Entscheidungen zu treffen. „Bei uns im Jugendamt haben wir es so gemacht, dass wir erst mal getrennt mit den Eltern gesprochen haben: eine Mitarbeiterin mit der Mutter und ich mit dem Vater, manchmal zeitgleich in verschiedenen Räumen und manchmal an unterschiedlichen Tagen – hochstrittige Paare halten es oft nicht aus, sich in einem Zimmer aufzuhalten. Erst wenn beide bereit sind, sich wieder an einen Tisch zu setzen, ist auch eine Mediation möglich. Wenn das der Fall war, haben wir der Familie ein Angebot dazu gemacht. Mediation heißt ja, dass Vater und Mutter ihre Absicht erklären, bei ihren Themen Regelungen zu finden“, erzählt Michael Braun. Der Mediator oder die Mediatorin moderiert während einer bestimmten Anzahl von Terminen. Am Ende steht eine Vereinbarung, die beide unterschreiben und die dem Gericht mitgeteilt werden kann. Um eine solche außergerichtliche Regelung zu erreichen, sollten auch die Anwälte des Vaters und der Mutter einbezogen werden, damit sie in der Abstimmungsphase keine Briefe schreiben, die den Konflikt neu aufleben lassen.

Kinder einbeziehen

Michael Braun betont, wie wichtig es ist, den Kindern mitzuteilen, dass sich ihre Eltern wirklich um Lösungen bemühen. Denn ein Indiz für Hochstrittigkeit ist, dass Kinder Dinge regeln, für die eigentlich ihre Eltern Verantwortung übernehmen sollten, zum Beispiel dem Vater mitteilen, dass die Mutter einen Urlaub plant und fragen, ob sie in der Zeit bei ihm bleiben können. Sind die Kinder neun oder zehn Jahre alt, werden sie – je nach Entwicklung – einbezogen. Hier vertritt Michael Braun einen systemischen Ansatz, der das ganze Familiensystem einbezieht. Wenn nötig, auch neue Partner und die Großeltern. Hochstrittigkeit vergleicht Michael Braun mit einem Krieg: „Da muss man die Kinder schützen.“ Aber es gibt auch eine echte Chance: „Wenn Eltern trotz ihrer persönlichen Verletzungen und Kränkungen das Wohl der Kinder im Blick haben, dann können die Kinder eine notwendige Trennung oder Scheidung auch gut verarbeiten. Vor allem, wenn sie erleben, wie Vater und Mutter mit gegenseitigem Respekt, trotz unterschiedlicher Sicht, zum Beispiel die Besuchskontakte oder die Ferien regeln“, sagt der Familienberater. Der Elternteil, bei dem das Kind lebt, sollte alles dafür tun, dass der Kontakt zum anderen Elternteil aufrechterhalten bleibt. Gelingt das nicht, sollte er oder sie sich dringend professionelle Hilfe suchen. Zum Beispiel, wenn die Mutter einen neuen Lebensgefährten hat. „Ich hatte einen Fall, da wollte die Mutter nicht mehr, dass der leibliche Vater Kontakt zum Kind hält. Ihr neuer Partner sollte diese Rolle übernehmen. Sie sagte: Meine Tochter hat jetzt einen neuen Papa, sie braucht meinen Ex nicht. Da musste ich ihr sagen: Nein, der Vater Ihrer Tochter ist Ihr Ex-Mann, und wenn Ihre Tochter will, hat sie nun noch einen zweiten Papa“, berichtet Michael Braun. Schließlich haben sich alle an einen Tisch gesetzt: die Mutter und ihr Verlobter, der leibliche Vater und seine Lebensgefährtin. Tatsächlich haben sie einen Kompromiss gefunden, eine Umgangsregelung, mit der alle leben konnten.

Gespräche statt Gerichtsverhandlung

Zu gemeinsamen Entscheidungen zu kommen, gelingt nur über einen Dialog. Die meisten hochstrittigen Paare aber haben nie gelernt, wirklich miteinander zu sprechen und sich zuzuhören. Und über die Trennung und den vielen Streit ist das Vertrauen verloren gegangen; wie bei einer Mutter, die mit ihrem Kind in den Norden Deutschlands gezogen ist, obwohl der Vater im Süden lebt und ein Gerichtsbeschluss besagte, sie dürfe sich mit dem Kind nicht weiter als 40 Kilometer entfernen. Der Vater klagte. Das Oberlandesgericht war bereits involviert, als Michael Braun und seine Kollegin endlich eine Einigung moderieren konnten: Der Vater erklärte sich einverstanden, dass Mutter und Kind im Norden leben, sein Sohn ihn aber regelmäßig besuchen kommt. Einen Tag vor der Verhandlung zog der Vater seine Klage zurück. „Ich sage immer zu den Streitenden: Die beste Lösung finden Sie, die liegt in Ihrer Familie verborgen. Manchmal auch in der eigenen Biografie. Die schlechteste Lösung ist das Gericht, aber wie gut, dass wir es haben, wenn nichts anderes mehr geht.“ Den Vätern rät Michael Braun, sich früh genug – bevor der Streit eskaliert – Rat und Hilfe zu suchen: Auf Internetseiten wie dem Väterportal, in Büchern und bei professionellen Beratungsstellen. Und: Väter sollten sich Gruppen suchen, in denen sie Zugang zu ihren Gefühlen finden und sich austauschen können, auch darüber, wie sie konflikt- und handlungsfähig werden. Sich selbst verstehen lernen ist die beste Prävention vor Hochstrittigkeit. Der Familienberater freut sich darüber, dass sich im Laufe seiner Berufsjahre eines geändert hat: Es gibt sie, die „neuen Väter“, die sich kümmern, wirklich für ihre Kinder interessieren und um sie kämpfen. (vaeter.nrw)Michael Braun ist seit 40 Jahren verheiratet, Vater von vier Kindern und hat fünf Enkelkinder. Text aktualisiert am 1. Juni 2016