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Eingwöhnung

Eingewöhnung in die Krippe oder bei der Tagespflegeperson

Der Start in der Krippe oder bei einer Tagespflegeperson ist für Kleinkinder und ihre Eltern ein besonderer Schritt, den es gemeinsam zu gestalten gilt. Eine langsame und von Vater oder Mutter begleitete Eingewöhnung in der neuen Umgebung und ein schrittweises Vertrautwerden mit neuen Bezugspersonen gibt Kindern und Eltern die Möglichkeit, den Übergang kompetent zu meistern. Ein solches „Eingewöhnungsmodell“ gilt daher als wichtiges Qualitätskriterium für eine Einrichtung oder Tagespflegestelle.

Übergänge sind Situationen, in denen sich das Leben in kurzer Zeit in vielen Aspekten verändert: Für Familien sind das zum Beispiel der Start der Kinder in Krippe, Kita oder Schule. Wer selber Übergänge - beispielweise Jobwechsel oder Umzüge - gemeistert hat, kennt die Herausforderungen, die damit verbunden sind. Transitionsforschung (Transition = Übergang) beschäftigt sich mit der Frage, was Menschen befähigt, solche Übergänge gut zu meistern und welche Rahmenbedingungen sie dabei unterstützen. Die Forschungen zeigten, dass es wichtig ist, dass der Mensch den Transitionsprozess aktiv mitgestalten kann und sich darin als lern- und handlungsfähig erlebt. Förderlich ist, wenn sich damit für die Person Herausforderungen und Entwicklungschancen verbinden, die sie reizen und die sie meistern möchte. Wichtig sind Unterstützerinnen und Unterstützer, die den Prozess begleiten und in neue unbekannte Gefilde einführen. Übergänge sind in der Regel mit widersprüchlichen Gefühlen verbunden: Einerseits besteht oft Vorfreude und Neugierde auf das kommende Neue. Auf der anderen Seite gibt es Befürchtungen, dass Hoffnungen enttäuscht werden könnten. Die vielen unbekannten Anforderungen und Veränderungen können Stress und ein Gefühl der Überforderung auslösen. Es ist positiv für Menschen in Übergangssituationen, wenn sie diese Gefühle ausdrücken können und damit auf Verständnis stoßen.

Kinder als kompetente Gestalter der eigenen Entwicklung

Was lange unbekannt war: Bereits für Babys, die den Übergang in eine Krippe oder zu einer Tagespflegeperson bewältigen müssen, treffen diese Erkenntnisse der Transitionsforschung zu. Dass diese Tatsache in den Blick rückte, liegt daran, dass sich die Sicht auf die kindliche Entwicklung verändert hat. Galten Kinder früher (und teilweise auch heute noch) als „leere Gefäße“, die kompetente Erwachsene mit „Inhalt“ zu füllen haben, und als durch Erziehung zu bändigende unzivilisierte emotionale Wilde, betont das aktuelle „Bild vom Kind“ dessen Lebenskompetenz und Fähigkeit, sich die Welt im Umgang mit Menschen und Dingen eigenständig zu erschließen. Damit verändert sich auch die Rolle der Erwachsenen. Sie werden von Lehrenden und Erziehenden zu Entwicklungsbegleiterinnen und -begleitern. Sie trauen Kindern mehr zu, achten auf ihre Signale und Äußerungen und nehmen diese ernst.

Vater oder Mutter kommt mit

Damit einher geht eine veränderte Gestaltung der Eingewöhnungszeit in den meisten Kindertageseinrichtungen sowie bei Tageseltern. Früher galt eine relativ schnelle Trennung von dem Elternteil, der das Kind brachte, als beste Lösung. Heute gibt es eine zumeist mehrere Wochen dauernde Eingewöhnungsphase, in der eine Bindungsperson, in der Regel die Mutter oder der Vater, das Kind täglich in die Einrichtung bzw. zur Tagespflegeperson begleitet. Dort nehmen beide für mehrere Stunden am Alltag teil. Eine Bezugserzieherin oder ein Bezugserzieher bzw. die Tagesmutter oder der Tagesvater nehmen behutsam Kontakt mit dem Kind auf. Ziel ist es, dem Baby ausreichend Zeit zu geben, sich in der neuen Situation zu akklimatisieren und Vertrauen zur Betreuungsperson aufzubauen. Die Eingewöhnung ist abgeschlossen, wenn sich das Kind in stressigen Situationen, zum Beispiel, wenn sich die Mutter oder der Vater verabschiedet, von der Erzieherin oder dem Erzieher bzw. von der Tagespflegeperson trösten lässt. Diese von Fachleuten so genannte „sichere Basis“ in der Beziehung zu einer vertrauten Person, gibt dem Kind die nötige Freiheit, um seinen Drang, sein Umfeld zu erkunden, ausleben zu können.

Langsame Eingewöhnung - positive Wirkung wissenschaftlich belegt

Kuno Beller, Professor für Kleinkindpädagogik im Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie an der Freien Universität Berlin, untersuchte die Auswirkungen einer abrupten im Vergleich zu denen einer langsamen und behutsamen Eingewöhnung. Erstaunlicherweise zeigten die Kinder, die nach dieser neuen Methode eingewöhnt wurden, in den ersten 18 Tagen in der Einrichtung mehr Zeichen von Stress und weniger positive Gefühle als die Kinder, deren Elternteil die meiste Zeit davon abwesend waren, weil der Übergang in die Einrichtung relativ kurz und abrupt gestaltet worden war. 15 Monate später hatte sich das Bild geändert. „Die Kinder in der allmählichen Eingewöhnungsgruppe drückten weniger Stress und mehr positive Anpassung in der Krippensituation aus, indem sie weniger weinten, weniger Unbehagen ausdrückten und sich leichter trösten ließen als die Kinder in der abrupten Eingewöhnungsbedingung“, schreibt Kuno Beller in einem Beitrag für die Zeitschrift „frühe Kindheit“ (Ausgabe 02/2002), der auch im Internet vorliegt. Er interpretiert die Ergebnisse so: Für die Kinder beider Gruppen sei die Eingewöhnung in der Krippe mit Stress verbunden. Im Beisein von Vater oder Mutter drücken die Kinder ihre negativen Gefühle aus und verarbeiten sie damit besser. Die Kinder aus der Vergleichsgruppe fühlen sich dagegen im Ausdruck ihrer Gefühle gehemmt, da sie keine ausreichend vertraute Ansprechperson dafür finden. Langfristig wirkt sich das eher negativ auf ihr Befinden in der Krippe aus.

Unterschiedliches Verhalten der Kinder bei der Eingewöhnung

Kinder reagieren in der Eingewöhnungszeit sehr unterschiedlich auf die neue Situation in der Krippe oder bei der Tagesmutter bzw. dem Tagesvater. Während die einen recht lange auf die Anwesenheit der Mutter oder des Vaters angewiesen sind und dort immer wieder Zuflucht suchen, beschäftigen sich andere schnell in der neuen Umgebung und scheinen weitgehend unbeeindruckt, wenn Vater oder Mutter den Raum verlassen. Das hat zum Beispiel im sogenannten Berliner Eingewöhnungsmodell dazu geführt, dass die Eingewöhnungszeit für diese von der Trennung scheinbar wenig betroffenen Kinder deutlich kürzer ausfällt, als für Kinder, die ihre Mutter oder ihren Vater offensichtlich längere Zeit brauchen.

Bindungstheorie gibt Antworten

Die von dem britischen Kinderpsychiater John Bowly und der kanadischen Psychologin Mary Ainsworth entwickelte Bindungstheorie liefert Erklärungsmuster für das unterschiedliche Verhalten der Kinder. Die Fachleute gehen davon aus, dass jeder Mensch von intensiven Gefühlen geprägte enge Bindungen zu seinen primären Bezugspersonen - in der Regel sind das die Eltern - aufbaut. Erfahren Babys feinfühlige Zuwendung und können sie sich darauf verlassen, dass die jeweilige Bindungsperson ihre Signale wahrnimmt und passend darauf reagiert, bauen sie eine sogenannte sichere Bindung zum entsprechenden Elternteil auf. Babys, die häufig Zurückweisung erfahren und denen es mit ihren Gefühlsäußerungen oft nicht gelingt, bei ihrer Bindungsperson die erwünschte Reaktion auszulösen, entwickeln eine sogenannte unsicher-vermeidende Bindung. Bei der Eingewöhnung in der Krippe oder bei der Tagespflegeperson drücken sie ihre Stressgefühle in der neuen Situation zumeist nicht oder kaum aus. Beim Fortgehen der Bindungsperson steigt, wie Untersuchungen zeigten, ihr Stresspegel jedoch stärker an als der bei sicher gebundenen Kindern. Kuno Beller kritisiert daher die Verkürzung der Eingewöhnungszeit bei Kindern, denen eine Trennung von ihrer Bindungsperson scheinbar wenig auszumachen scheint. Kinder mit Bindungspersonen, die schwer einschätzbares Verhalten zeigen, das zwischen Feinfühligkeit und Ablehnung schwankt, entwickeln nach der Bildungstheorie eine unsicher-ambivalente Bindung. Diese Kinder zeigen in der Eingewöhnungssituation Stress, bereits bevor die Bindungsperson den Raum verlässt. Sie sind quasi ständig bemüht, das Verhalten ihrer Bindungsperson zu deuten und ihre eigenes entsprechend anzupassen. Ihr Drang, die Umgebung zu erkunden, tritt dadurch zurück.

Väter und Mütter in der Übergangssituation

Die Ausführungen zur Bindungstheorie, die die aktuelle pädagogische Diskussion stark beeinflusst, zeigen, wie wichtig die Rolle der Väter und Mütter für die Kinder und für den Eingewöhnungsprozess in der Krippe oder bei der Tagespflegeperson ist. Für die Eltern ist der Eintritt eines Kindes in die Krippe oder in die Kindertagespflege ebenfalls eine Übergangssituation, die in der Regel zwiespältige Gefühle auslöst und die sie bewältigen müssen. Eine sorgfältige Eingewöhnung über einen längeren Zeitraum hilft auch ihnen, sich allmählich in die neue Lebensphase einzufinden und ihre Rolle als Eltern eines Krippen- oder Kindertagespflegekindes kompetent einzunehmen. Durch eine solche Eingewöhnung bekommen Väter bzw. Mütter einen guten Einblick in den Alltag der Einrichtung oder Kindertagespflege und können das nötige Vertrauen aufbauen, dass ihr Kind dort gut begleitet und versorgt wird. Die eingangs aufgeführten Bedingungen, die Übergänge erleichtern, sollten idealerweise auch für die Eltern gegeben sein. Erzieherinnen und Erzieher bzw. Tagespflegepersonen stehen daher vor der professionellen Aufgabe, Eltern Raum für Mitgestaltung zu lassen, sie zu animieren, Befürchtungen zu thematisieren und verständnisvoll darauf einzugehen.

Typische Herausforderungen für Eltern

Verbreitet ist zum Beispiel die elterliche Sorge, dass die Erzieherin oder der Erzieher bzw. die Tagespflegeperson sie bei ihrem Kind als wichtige Bindungsperson verdrängen könnte. Anna Winner und Elisabeth Erndt-Doll nehmen in ihrem Buch zum Thema Eingewöhnung, das auszugsweise auf www.erzieherin.de veröffentlicht ist, Eltern diese Angst, indem sie beschreiben, dass die Bindung des Kindes zu den Eltern eine ganz andere Qualität hat und behält als seine Beziehung zur Betreuungskraft. Die Autorinnen beobachteten zudem, dass viele Eltern ihren Kindern Stress und Aufregung in der Übergangssituation möglichst ersparen wollten. Sie strebten daher bei der Entscheidung für eine Betreuungsstelle ein Umfeld an, das dem zu Hause möglichst ähnlich sei. Die Autorinnen geben zu bedenken, dass der Reiz für die Kinder, sich in einem neuen Umfeld einzuleben, gerade von dessen Andersartigkeit und den dort gegebenen neuen Möglichkeiten ausgehen könnte.

Übergang als Chance

Sie machen außerdem deutlich, dass Übergänge Entwicklungschancen beinhalten – wenn Kinder sie mitgestalten können. Entwicklungsschritte seien jedoch mit „Krisen“ verbunden, in denen sicheres Terrain verloren gehe. „Eine gute und erfolgreiche Eingewöhnungszeit (und das bedeutet eben nicht unbedingt eine in jedem Fall harmonische und völlig problemlose Zeit) ist nicht nur eine gute Basis für den weiteren Kinderkrippenbesuch. Wenn sich Kinder als erfolgreich erleben und gestärkt aus solchen Krisen hervorgehen, werden sie auch widerstandsfähiger und kompetenter im Umgang mit weiteren schwierigen Situationen. Solche Kinder gehen als ‚Übergangsgewinner’ aus der Transition hervor“, schreiben Anna Winner und Elisabeth Erndt-Doll. Daher gehört ein gemeinsam mit Eltern und Kindern gestalteter, behutsamer Übergang in die Kindertagestätte oder die Kindertagespflegestelle zu den unverzichtbaren Qualitätskriterien.
 
( vaeter.nrw.de, aktualisiert 13.03.2018)