Vater ist, das was du draus machst!
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Erziehung

Kinderbedürfnisse im Blick

Trennungskinder

Lange Zeit zogen Kinder nach einer Scheidung der Eltern ganz selbstverständlich zur Mutter. Dieser Automatismus ist mit dem Wandel der Rollen passé: Väter bringen sich intensiv in die Erziehung ein und Mütter sind häufig erwerbstätig. Daher kommt heute häufig ein Wechselmodell zum Zug. Aber was bedeutet es für das Kind, abwechselnd bei Vater und Mutter zu leben?
Luisa* verbrachte nach der Trennung ihrer Eltern vor rund 14 Jahren etwa gleich viel Zeit mit ihrem Vater und ihrer Mutter. „Für mich war es wichtig, dass ich beide Elternteile voll erlebe und die Beziehung zu beiden leben konnte“, sagt die 18-Jährige heute. In den ersten Jahren wohnte sie jeweils drei, vier Tage am Stück bei einem Elternteil. Später blieb sie immer eine ganze Woche an einem Ort. Ein eigenes Zimmer hatte sie bei beiden Eltern. Viele persönliche Dinge und ihre Kleidung waren daher an beiden Wohnorten untergebracht, aber die meisten Sachen waren doch bei Luisas Mutter. „Für mich bedeutete diese Regelung auch, dass ich oft meinen Koffer packen musste“, sagt Luisa. Das regelmäßige Pendeln bedeutete nicht nur einen Wechsel der Wohnung und des Elternteils: „Meine ältere Schwester wohnte ganz bei meiner Mutter. Die habe ich also in erster Linie dort gesehen. Mein Vater dagegen hat zunächst alleine gelebt. Später ist seine neue Lebenspartnerin mit ihrer Tochter bei ihm eingezogen“, erklärt Luisa.

Gute Betreuung durch beide Elternteile

Luisas Vater arbeitete immer in Vollzeit. Für ihre Betreuung war das aber kein Problem: „Wochentags war ich in der Kita untergebracht. Manchmal hat auch Papas neue Freundin auf mich aufgepasst. Meine Eltern haben sich da gegenseitig gut unterstützt – etwa wenn sie mich zum Reiten oder zu anderen Hobbies gefahren und anschließend wieder abgeholt haben.“ Wenn es um die Betreuung ihrer Kinder ging, haben sich Luisas Eltern an die Absprachen gehalten – für ein gut funktionierendes Wechselmodell ganz entscheidend. Und auch bei Erziehungsfragen schafften es die Eltern meist, sich zu einigen: „Der Umgang meiner Eltern war eigentlich gut. Natürlich hat der räumliche Abstand meinen Eltern geholfen, denn sonst hätten sie sich ja nicht getrennt.“

Neue Lebensphase – neue Bedürfnisse

Gerade anfangs hat das Wechselmodell für Luisa gut gepasst. Für sie war das Wichtigste, mit beiden Elternteilen im engen Kontakt zu sein und eine stabile Beziehung zu beiden zu haben. Das änderte sich mit der Pubertät: „Mein Wunsch, ja das Bedürfnis nach nur einem festen Zuhause wurde immer größer. Ich wollte einen Ort haben, an den ich mich zurückziehen konnte, einen Ort, wo ich meine Sachen aufbewahren konnte. Außerdem wollte ich die Möglichkeit haben, spontan zu sein, ohne dabei bedenken zu müssen, bei wem ich gerade lebe.“ Heute lebt Luisa die meiste Zeit bei ihrer Mutter. Bei ihrem Vater und seiner neuen Familie wohnt sie jetzt jedes zweite Wochenende. Manchmal treffen Luisa und ihr Vater sich spontan und gehen dann zum Beispiel ins Kino.

An den Wünschen der Kinder orientieren

Luisa weiß, wie es ist, in einem Wechselmodell zu leben. Neben dem Teilen von gemeinsamen Erlebnissen mit dem Vater und der Mutter war es für sie immer wichtig, dass beide Eltern auf sie geachtet haben: „Aber ich denke, das ‚richtige‘ Wechselmodell sieht für jedes Kind anders aus. Die jeweiligen Bedürfnisse sind einfach zu verschieden“, sagt sie. Schließlich sei jede Familie, jedes Kind und jede Trennungssituation anders und braucht eine eigene Herangehensweise. In jedem Fall kommt es für Luisa darauf an, dass die Eltern das Kind nicht emotional unter Druck setzen: „Ich finde es wichtig, dass sich beide Elternteile voll auf die Bedürfnisse des Kindes einstellen, mehr als auf ihre eigenen – soweit das möglich ist. Beispielsweise sollte das Kind selbst wählen, wo es wohnen möchte. Ohne das Gefühl zu haben, sich für oder gegen jemanden zu entscheiden.“ [*Name von der Redaktion geändert] (vaeter.nrw) Text aktualisiert am: 29.05.2016  

Erst mal überfordert

Junge Väter möchten Beruf und Familie optimal verbinden. Viele nehmen eine kurze Elternzeit, aber danach kehrt der Alltag zurück, Job und Familie müssen ausbalanciert werden. Auch die Ansprüche der Mütter an ihre Partner sind gestiegen. Sabrina Odebrecht, Dipl. Psychologin, Systemische Therapeutin und Sexualberaterin aus Berlin, erzählt von Lösungen.

Die Ansprüche der Partnerin und die eigenen Idealvorstellungen erzeugen Druck bei jungen Vätern. Teilen Sie diese Beobachtung?

Ja. Die heutige Generation der jungen Väter wurde von Frauen erzogen, die ihnen neue Erziehungsprinzipien und Gleichberechtigung vermittelt haben. Zum anderen sehen viele Männer ihre eigenen Väter als abschreckende Beispiele und möchten es besser machen: Neben dem Beruf möchten sie für ihre Partnerin und ihre Kinder da sein, die Entwicklung miterleben, viel Zeit mit den Kindern verbringen. Und sei es auch nur eine qualitativ hochwertige Zeit, etwa die typischen eineinhalb Stunden zwischen Feierabend und Zubettbringen. Hinzu kommen die Ansprüche der jungen Mütter, die auf ihre berufliche Entwicklung Wert legen und nicht sechs Jahre komplett aussteigen möchten. Sie wünschen sich auch Zuhause eine faire Aufgabenverteilung. Abgesehen von diesen alten und neuen Ansprüchen: Das erste Kind ist für beide Elternteile neben einer großen Freude auch eine Überforderung – immer.

Was passiert nach der Geburt und wie gehen Eltern damit um?

Ein Säugling bringt mit seinen Bedürfnissen den Alltag durcheinander: die gewohnte Aufgabenteilung, die Partnerschaft, die Sexualität, den Schlafrhythmus. Ein Kind ist gleichzeitig wunderbar und hat das Potenzial zur größtmöglichen Krise. Das empfinden Mütter und Väter gleichermaßen. Während sich junge Mütter aber intensiv miteinander austauschen, fehlt es vielen Vätern an Gesprächspartnern und -räumen. Von den eigenen Eltern hören sie oft nur: Da mussten wir auch durch. So entsteht zunächst eine Durchhaltementalität, die einen von Tag zu Tag bringt, und gleichzeitig stehen eigene Bedürfnisse hinten an.

Mit wem können Väter reden?

Freunde und Arbeitskollegen, die bereits Kinder haben, teilen gerne ihre Erfahrungen und haben ein offenes Ohr. Der Mann wird aufgenommen in die informelle Gruppe der neuen Eltern. Für manche kinderlose Männer sind dagegen viele Sorgen schwer nachvollziehbar. Natürlich sollte auch mit der Partnerin der Gesprächsfaden nicht abreißen. Die Probleme sind ungewohnt und die Alltagserlebnisse von Vätern und Müttern grundlegend verschieden: hier der Neun-Stunden-Arbeitstag, dort die Welt der Milchflaschen und Windeln. Da hilft es, sich zum Gespräch zu verabreden und dies mit der gleichen Wichtigkeit eines Termins beim Arzt oder Chef zu tun. Auch schriftliche Kommunikation zu nutzen kann hilfreich sein, wenn Gespräche aufgrund von Erschöpfung und fehlenden Ressourcen schnell eskalieren. Denn mit wenig Energie und Ressourcen enden konstruktiv gemeinte Diskussionen nicht selten im Streit. Auch so kann der Dialog wieder in Gang kommen.

Wie beeinflusst der Beruf die Überforderung der Männer?

Mit der Geburt eines Kindes erhöhen sich die Ansprüche an den Job: Man wünscht sich flexiblere und kürzere Arbeitszeiten, aber weiterhin Karrierechancen, ein höheres Einkommen, denn die Ausgaben steigen kontinuierlich. Und ganz wichtig: Jobsicherheit. Der Verlust des Arbeitsplatzes ausgerechnet jetzt würde als Katastrophe empfunden werden. Die eigenen Ansprüche erzeugen also Druck bei den jungen Vätern. Hinzu kommt eine neu erlebte Hilflosigkeit, gerade für beruflich erfolgreiche Männer: Plötzlich sind sie überfordert mit einem schreienden Säugling. In einigen Situationen, wenn es beispielsweise ums Stillen geht, können sie ihrer Frau wenig beistehen. Das wirkt demotivierend und frustriert.

Väter und Mütter möchten die neuen Elternaufgaben möglichst gerecht verteilen – aber wie?

Vor der Geburt sind Aufgaben meist 50:50 verteilt, vieles hat sich „von selbst so ergeben“. Nach der Geburt muss das System von den Eltern neu ausgehandelt werden. Ein möglicher hilfreicher erster Schritt: notieren, wer aktuell welche Aufgaben übernimmt. Dabei bitte auch die nicht so offensichtlichen Arbeiten auflisten, wie etwa: Auto auftanken, sich um Anschaffungen, Reparaturen und Versicherungen kümmern. Dann müssen beide Seiten einige Fragen offen beantworten: Was wünsche ich mir? Was kann ich geben? Wo brauche ich Unterstützung? Welche Arbeiten kann ich keinesfalls übernehmen – etwa den Nachtdienst, wenn dieser mit konzentrierter Büroarbeit am nächsten Tag kollidiert. Bleiben Aufgaben übrig, muss ein Kompromiss gefunden werden. Und ob die Kompromisse erfolgreich sind oder nicht, sollte nach einiger Zeit besprochen werden, um nachzusteuern.

Das klingt nach einer Planungsstrategie, die man aus Unternehmen kennt. Man hat aber den Eindruck, dass viele Eltern hoffen, der neue Alltag regelt sich von alleine.

Das ist selten der Fall. Und vor der Geburt wird zwar viel über die Kinderzimmergestaltung gesprochen, aber nicht im Detail über die neuen Aufgaben. Dabei würde das helfen, Stress und Frust zu vermeiden. Eine Stressvermeidungstaktik bei Männern ist übrigens, länger als nötig zu arbeiten. Ist daheim der Stresslevel hoch, wird Arbeit sogar als willkommene Pause empfunden, auch von Müttern, die nach der Elternzeit zurück im Job sind. Die Kollegen sind entspannt und haben keine Erkältung oder Mittelohrentzündung. Wenn der junge Vater allerdings regelmäßig die Arbeitszeiten ausdehnt, steigt der Druck zu Hause noch weiter. Dann entsteht ein Teufelskreis, und das Paar gerät in eine Falle.

Wann sollte man sich Beratung und Hilfe suchen?

Man darf jederzeit Hilfe suchen. Wichtig ist, sich zu vergegenwärtigen: Man hat kein schlimmes Defizit, sondern einfach eine anstrengende Zeit, in der eine neutrale Außenperspektive oder Moderation helfen kann. Also: sich rechtzeitig in die Beratung trauen. Erziehungs- und Familienberatungsstellen gibt es in jeder größeren Stadt, einfach im Internet das Stichwort suchen. Empfehlenswert ist es auch, einen Elternkurs zu besuchen, zum Beispiel „Starke Eltern – Starke Kinder“, der an vielen Orten angeboten wird.

Was tun, wenn die Überlastung bleibt?

Was ich selbst nicht schaffe, kann vielleicht jemand anderes: Eltern sollten alle Ressourcen nutzen, die sie haben oder sich leisten können: Großeltern, Babysitter, Tagesmutter, Haushaltshilfe, Einkaufsservice. Ein Ziel sollte sein, wieder etwas Zeit zu zweit und auch für sich alleine zu haben. Nicht vergessen! Und wenn es nur eine Stunde in der Woche ist, wo der Vater ganz bewusst etwas macht, was ihn entspannt. Das gilt natürlich auch für Mütter. (vaeter.nrw)  

Der Kinderblick auf Vater und Mutter

Gastbeitrag

Sowohl in Theorie und Forschung als auch in der erzieherischen Alltagspraxis galt die Aufmerksamkeit bislang fast exklusiv dem Blick von Erwachsenen auf Kinder. Allzu oft glauben die „Großen“ – so auch Eltern – zu wissen, was in den „Kleinen“ vor sich geht. Höchste Zeit, diese eingefahrene Blickrichtung umzukehren und Kinder dazu einzuladen und zu ermutigen, ihre ganz individuelle Sicht auf Vater und Mutter zu offenbaren. – Ein Gastbeitrag von Dr. Johannes Huber, Universität Innsbruck
Grundsätzlich sind Kinder, und dies bereits vom frühesten Lebensalter an, unbeirrbare Seismographen für das Verhalten und auch das Erleben ihrer Eltern. Je mehr innere Ruhe und Sicherheit beispielsweise ein Vater mitbringt, desto mehr Offenheit und Feinfühligkeit wird dieser den offenkundigen wie auch subtilen Botschaften seines Kindes entgegenbringen können.

Was wünschen sich Kinder von ihren Vätern?

Befragungen von Kindern lassen bereits im Vorschul- und Grundschulalter erkennen, dass diese sehr wohl in der Lage sind, ein differenziertes und gegebenenfalls auch kritisches Bild der Kind-Vater-Beziehung zu entwerfen. Für Kinder sind dabei zwei Aspekte von hoher Relevanz: die gemeinsam verbrachte Zeit sowie die regelmäßige Kommunikation mit dem Vater. Gerade die nicht verplante Zeit, das eher „beiläufige“ Zusammensein, bietet Kindern oftmals erst die Möglichkeit, sich über aktuelle Bedürfnisse mit dem Vater auszutauschen. Dieser Befund deckt sich mit der in Untersuchungen gehäuft berichteten Klage von Kindern über den eklatanten Mangel an väterlicher „Zeitverwendung“ mit ihnen. Vor diesem Hintergrund erweisen sich Alltagsrituale und -routinen (wie zum Beispiel regelmäßige Mahlzeiten im Kreise der Familie, Gute-Nacht-Geschichten) oder exklusive und (handy-)ungestörte Zeiten mit dem Vater als zentrale und im hektischen Alltagsgeschehen allzu bereitwillig geopferte Möglichkeiten für beziehungsförderliche Auszeiten und Gemeinsamkeitserfahrungen. Eine sich oftmals bereits in frühen Kinderjahren einschleichende „randständige Position“ des Vaters in der Familie (durch fehlende Alltagsverfügbarkeit) wird von Kindern nicht nur bedauert, sondern macht sich unter gewissen Umständen auch außerhalb der Familie bemerkbar: So sind es insbesondere Jungen mit ausgeprägt erlebter „Vaterferne“, die ihre Beziehungswünsche nach einer gleichgeschlechtlichen Identifikationsfigur und Bindungsperson auf pädagogische Fachkräfte (zum Beispiel Kindergärtner oder Lehrer) übertragen, ohne dass diese den leiblichen Vater in vollem Umfang ersetzen könnten. Generell fehlt es Jungen im Alltag häufig an positiven männlichen Anschlussmöglichkeiten.  Für Töchter und ihre weibliche Identitätsentwicklung spielt der Vater eine ebenso bedeutsame, wenngleich andere Funktion als für Söhne. So scheint gerade „der Glanz im Auge des Vaters“ angesichts seiner Tochter ein ganz tiefgreifendes und frühes Entwicklungsbedürfnis des Mädchens zu stillen. Dieses erfährt ein Wiederaufleben besonders in der jugendlichen Ablösungsphase, wenn die Tochter nicht mehr als das „kleine Mädchen“, sondern als eigenständige und ebenbürtige junge Frau die liebende Anerkennung ihres Vaters sucht. Aber selbst in Familien, in denen der Vater langfristig physisch nicht anwesend ist,  besitzt er im seelischen Innenleben des Kindes oftmals weiterhin große und anhaltende Bedeutung: Zum Beispiel wünscht es sich den Vater sehnlichst herbei oder erschafft ein überhöhtes, idealisiertes Vaterbild in seiner Fantasiewelt. Der kindliche Blick auf den Vater wird dabei auch wesentlich vom inneren Bild, das die Mutter vom Vater beziehungsweise dem Ex-Partner hat, beeinflusst. Je mehr die Mutter selbst zu einer wertschätzenden oder zumindest konfliktbefreiten inneren Haltung kommt, umso eher ist sie auch offen für die Beziehungswünsche des Kindes gegenüber dem Vater.

Die „Perspektive vom Kinde aus“

Wen das kindliche Erleben von Vater und Mutter und seiner Beziehung zu ihnen interessiert, der sollte sich stets die mehrfache Abhängigkeit des Kindes bewusst machen: Seine Bedürfnisse nach Schutz, nach Versorgung, nach bedingungsloser Wertschätzung und dem „Gesehen-werden“ beeinflussen essentiell das kindliche Urteil. Ein Kind hat in der Regel nur die eine Familie, welche es – und sei sie mit noch so vielen Schönheitsfehlern behaftet – lieben und irgend möglich vor sich selbst und anderen schützen und bewahren will. Entsprechend anspruchsvoll gestaltet sich, insbesondere bei kleinen Kindern, die forschende Suche nach zuverlässigen Hinweisen auf scheinbar so einfache Fragen wie: „Was wünscht sich ein Kind vom Vater?“ oder „Wie erlebt ein Sohn oder eine Tochter seinen/ihren Vater?“. Zur Erschließung der „Perspektive vom Kinde aus“ sind in jedem Falle unterschiedliche Zugangswege möglich – und nötig. Neben sprachlichen Mitteilungen sind ebenso indirekte Ausdrucksformen (wie Kinderträume, Kinderzeichnungen, im Spiel szenisch zur Schau gestelltes) wichtige Schlüssel, um sich den Aussagen über kindliche Bedürfnisse im Allgemeinen und ihres Beziehungserlebens von Vater und Mutter im Speziellen annähern zu können.   Psychologe Dr. Johannes Huber forscht und lehrt an der Bildungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck zu Fragen der kindlichen Entwicklung und Sozialisation. Gemeinsam mit dem Psychologen und Psychoanalytiker Prof. Dr. Heinz Walter hat er Ende 2015 das Buch „Der Kinderblick auf Vater und Mutter • Wie Kinder ihre Eltern erleben“ herausgegeben. Der Band versammelt sozialwissenschaftliche und berufspraktische Beiträge zur ganz eigenen Sicht von Töchtern und Söhnen auf Vater und Mutter.

Jeder Vater ist auch Sohn

Die vererbte Vaterrolle

In der Berufswelt verändern sich die Rollen nur langsam: Drei viertel aller deutschen Eltern sagen, dass der Vater wesentlich für den Broterwerb zuständig ist. Schaut man aber in die Familien, zeigen sich zunehmend aktive, kümmernde Väter. Wie kommen Männer zurecht in der Doppelrolle des liebevollen Ernährers – für die es noch nicht viele Modellväter gibt?
Eine Forsa-Studie für die Zeitschrift Eltern zeigt das Dilemma. Die Väter sind hin- und hergerissen zwischen dem traditionellen Ideal, eines im Beruf erfolgreichen Mannes und dem wachsenden Wunsch, ein zugewandter Vater zu sein. Sie wollen eigentlich mehr Zeit mit den Kindern verbringen – und arbeiten zugleich weiter in Vollzeit. Die finanzielle Sicherheit ist dafür ein Argument. Aber auch die persönliche Anerkennung, die sie im Job erfahren, stärkt ihre männliche Identität. Im Ergebnis hat mehr als die Hälfte (54 Prozent) der von Forsa befragten Väter das Gefühl, der eigenen Rolle nicht gerecht zu werden. Wie genau diese Rolle ausschauen soll, kann jedoch kaum ein Vater sagen. Dem Idealbild fehlt das Vorbild.

Ohne Rollenvorbild fehlt der Halt

Für den Männer- und Vater-Coach Josef Hönerlage aus Münster ist das fehlende Vorbild ein entscheidender Punkt: „Viele Väter, die zu mir kommen, sind sich ihrer männlichen Vaterrolle unsicher“, sagt er. „Sie möchten authentisch sein als Mann und als Vater. Aber sie hatten nicht die männlichen Leitbilder und Väter, von denen sie hätten lernen können.“ Auch Freunde und Bekannte können diese Funktion übernehmen. Aber den größten Einfluss hat immer noch die Ursprungsfamilie. In dieser „glänzten“ viele Väter durch berufliches Engagement und familiäre Abwesenheit. Waren sie für die Kinder doch einmal präsent, übernahmen sie oft nur einen strafenden und Grenzen setzenden Part. Auch wenn heutige Väter es eigentlich besser wissen – und es sich auch anders wünschen – das klassische Rollenverständnis der Vorgeneration lebt noch in den Familienstrukturen fort. In den fehlenden Vatervorbildern sieht Josef Hönerlage noch ein weiteres Problem: „Viele Väter, die in ihrer Rolle unsicher sind, versuchen, sich der aktiven Vaterverantwortung zu entziehen oder sie imitieren mütterliches Verhalten.” Eine männliche Art zu fühlen und zu denken, können die Kinder so nicht erleben. Dabei könnten Väter – beispielsweise in Problemsituationen – signalisieren: Traut euch, entdeckt die Welt, ihr seid gut, ihr schafft das! Josef Hönerlage: „Dass Väter auf diese Weise aktiv sind und die Erziehung um ihren Part ergänzen, ist besonders wichtig: So bekommen die Kinder die Chance, Mannsein und Vatersein kennenzulernen.“

Mit dem eigenen Vater ins Reine kommen

Vereinfacht gesagt, lassen sich bei Josef Hönerlage zwei Grundtypen von Vätern coachen: Zum einen jüngere Männer mit kleinen Kindern, die von den eigenen Ansprüchen, den Aufgaben im Job und den Erwartungen der Partnerin überfordert sind. Zum anderen ältere Väter, die in oder nach der Pubertät ihrer Kinder merken, dass sie etwas verpasst haben. Sie wünschen sich eine Bindung zu den Heranwachsenden, möchten Verlorenes nachholen oder in einer Phase in die Erziehung eingreifen, in der sich die Kinder gerade von den Eltern lösen. Für alle hat der Coach einen zentralen Rat: „Wenn wir für unsere Kinder ein positiver und stärkender Vater sein wollen, müssen wir uns unserer männlichen Identität zumindest einigermaßen sicher sein. Und um diese zu festigen, ist es von großer Bedeutung, mit dem eigenen Vater im Reinen zu sein oder ins Reine zu kommen.“ Dazu kann auch gehören, zu verstehen, weshalb der Vater nicht in der Lage war, seinen Sohn mit einem liebevollen und umfassenden „Ja“ zu stärken. „Die Gefahr ist, dass wir Konflikte, die wir mit unserem Vater hatten, unbewusst auf unsere Kinder übertragen“, sagt Josef Hönerlage. „Wenn das Verhältnis zum Vater geklärt ist, fällt es auch leichter, den eigenen Kindern gegenüber eine moderne und ermunternde Vaterrolle zu entwickeln, die zwar Grenzen setzt – aber auch vertrauensvoll Entwicklungsräume lässt." (vaeter.nrw) Text aktualisiert am 11.06.2016