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Pflegefall

Diskrete Hilfe – Männer und Angehörigenpflege

Pflege von Angehörigen

Wenn Familienmitglieder zu Pflegefällen werden, übernehmen oft auch Männer die Betreuung. Doch wie finden sie in diese Rolle? Und wie geht unsere rasant alternde Gesellschaft mit der Vereinbarkeit von Beruf und Angehörigenpflege um? vaeter.nrw erkundigte sich dazu bei Fachleuten.

„Die These, dass Männer anders pflegen als Frauen, haben wir nicht bestätigt bekommen“, erklärt Sigrid Leitner, Professorin für Sozialpolitik an der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften der Fachhochschule Köln. „Unsere Untersuchung zeigt, dass Männer durchaus nicht nur dann pflegen, wenn es nicht anders geht – so eine verbreitete These – sondern sie tun es häufig aus Liebe, wollen ihren Eltern oder ihrer Ehefrau Zuwendung zurückgeben.“

Der unterschätzte Dienst

„Insgesamt“, betont auch Dr. Eckart Hammer, Professor an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg, „wird die Pflegearbeit, die Männer leisten, noch stark unterschätzt. So hat sich zum Beispiel die Zahl der Söhne, die ihre Eltern pflegen, in den vergangenen zehn Jahren um zehn Prozent erhöht.“ Rund 27 Prozent aller häuslich Pflegenden sind inzwischen Männer. Nimmt man einen erweiterten Pflegebegriff, sind es sogar bereits 37 Prozent. Sichtbar seien sie auch deshalb nicht, weil das Thema nach wie vor häufig tabuisiert wird und die Pflegenden Scham empfinden, darüber öffentlich zu sprechen. „Dabei“, erzählt Eckart Hammer, „berichten pflegende Männer sehr häufig, wie viel ihnen diese Tätigkeit gibt: Sie haben entdeckt, dass sie fürsorglich sein können, dass sie einen Haushalt führen können – eine Dimension, die gerade die ältere Generation nicht kannte. Und sie erfahren, wie beglückend es sein kann, sich, gerade wenn Sprache verloren geht, über die körperliche Ebene Zuwendung zu geben.“

Früh Hilfe suchen

Sigrid Leitner betont, dass Männer beim Pflegen seltener als Frauen bis an den Rand der Erschöpfung gehen: „Da können wir von ihnen lernen.“ Dennoch rät sie auch den pflegenden Männern, sich früh Hilfe zu holen, um ein Burnout zu vermeiden. Denn: Die große Mehrheit derjenigen, die erwerbstätig sind, reduziert ihre Arbeitszeit nicht, auch wenn das finanziell machbar wäre. Pflege im Betrieb zu thematisieren, ist noch stärker tabuisiert als das Thema Kinderbetreuung/Elternzeit. Die Männer befürchten zum einen, es könne ihnen bei der Karriere schaden, zum anderen ist der Betreuungsaufwand schwer abzuschätzen. Bei der Pflege steigert er sich über die Jahre, bei der Kinderbetreuung ist das Gegenteil der Fall.“

Die Mischung macht´s

Müssen Angehörigenpflege, Kinderbetreuung und Beruf unter einen Hut gebracht werden, wählen Männer häufig sogenannte gemischte Pflegearrangements. Dabei beziehen sie ihre Partnerin, ältere Kinder und professionelle Pflegedienste mit ein. „Die eigene Familie ist für die Väter ein großer Rückhalt, auch psychisch. Gleichzeitig ist sie aber auch eine Konfliktquelle, denn die zeitliche Beanspruchung der Väter durch die Pflege führt unweigerlich zu Konflikten mit den eigenen Kindern und der Partnerin“, erklärt Sigrid Leitner. „Die Väter stehen zwischen den Ansprüchen der zu pflegenden Angehörigen und denen ihrer Kinder“. In manchen Familien werden die Aufgaben, die durch Pflege und Kinderbetreuung anfallen, partnerschaftlich aufgeteilt. Andere leben ein Modell, bei dem beispielsweise die Mutter die Kinder betreut und der Vater seine Eltern pflegt.



Eckart Hammer ist tief beeindruckt, wenn ihm Pflegende berichten, wie sie versuchen, ihr Leben fortzusetzen, auch wenn sie einen dementen Angehörigen pflegen. Konkret bedeutet das: sich weiterhin mit Freunden treffen, einkaufen gehen oder Straßenbahn fahren – alles mit dem dementen Angehörigen. Die peinlichen Situationen, die dabei meist unweigerlich entstehen, halten sie aus. „Männer grenzen sich in der Regel besser ab als Frauen“, erklärt Eckart Hammer, „und das hilft ihnen auch in anderer Hinsicht: Sie gehen nicht so leicht in die Überforderung! Sie setzen sich eher realistische Ziele, beschließen beispielsweise `Ich pflege meine Frau, solange sie mich erkennt´ und setzen das dann auch um.“

Eine schwierige Entscheidung

Auszeiten zu nehmen ist gerade für pflegende Väter sehr schwierig. Deshalb rät Eckart Hammer auch, sich diese Entscheidung gut und ehrlich zu überlegen. Auch wenn er das Sprichwort richtig findet ´Kinderpflege ist Natur – Altenpflege ist Kultur´, ist sich der Wissenschaftler sicher: Es gibt keine moralische Pflicht, Angehörige in jedem Fall zu pflegen, wohl aber die moralische Pflicht, darüber nachzudenken. „Es ist ein Aushandlungsprozess, ob Kinder ihre Eltern pflegen. Auch nicht alle Eltern wollen das. Deshalb ist es sehr wichtig, das Thema früh genug offen zu thematisieren: Wie soll es gehen? Können wir das? Wollen wir das? Wer hilft uns?“



Wenn die Entscheidung gefallen ist und sich Männer entscheiden, Angehörige zu pflegen, sollten sie die Pflege von vorneherein breit anlegen und alle einbeziehen, denen das zuzumuten ist: Geschwister, Nachbarn, ältere Kinder. Und seiner Meinung nach ist es ganz wichtig, die Bereicherung zu betonen, die pflegende Angehörige erfahren, und nicht nur von der Belastung zu sprechen. Außerdem ist sich Eckart Hammer sicher: Aktive Väter haben eine größere Affinität zur Pflege als solche, die sich wenig um ihre Kinder kümmern. Und sie sind auch deutlich besser dafür gerüstet!

(vaeter.nrw)

Sigrid Leitner ist Professorin für Sozialpolitik an der Fachhochschule Köln und hat das Forschungsprojekt „Männer zwischen Erwerbstätigkeit und Pflege“ bearbeitet. Das Projekt analysierte anhand von Betriebsfallstudien und qualitativen Interviews typische Strukturen und Problembewältigungsstrategien erwerbstätiger pflegender Männer. Nähere Informationen finden Sie hier.



Eckart Hammer ist Professor für Soziale Gerontologie an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg. Er befasst sich seit vielen Jahren mit den Themen „Männer und Alter“ und hat in einem Forschungsprojekt 25 pflegende Männer ausführlich befragt. Eckart Hammer ist verheiratet und hat drei Kinder.

 

Text aktualisiert am 29.05.2016