Vater ist, das was du draus machst!
vaeter.nrw

Kinderlosigkeit

Verschlungene Pfade zur Familiengründung

Kinderwunsch und Wirklichkeit

Viele alte Vorstellungen von Geschlechterrollen wurden in den letzten Jahren über Bord geworfen. Doch Veränderungen bringen auch Schwierigkeiten. Väter und Mütter müssen ihre Rollen neu definieren und ein neues Selbstverständnis finden. Mit ihrer veränderten Position konfrontiert, schrecken viele Männer vor der übergroß erscheinenden Verantwortung einer Vaterschaft zurück.
Es gibt heute die unterschiedlichsten Familienkonzepte. Eines haben sie jedoch alle gemeinsam: Eltern teilen sich heute sämtliche familiäre Verantwortung. Kindererziehung, Familienglück, Haushalt, finanzielle Absicherung - kein Bereich ist mehr ausschließlich einem Partner vorbehalten. Für die Väter heißt das: Sie sind mehr als bisher in das Familienleben und dessen Ablauf integriert. Sie übernehmen ihren Teil der Erziehung, zeichnen für die Beziehung zum Partner genauso mitverantwortlich wie für das Einkommen. Das Terrain ist also unübersichtlicher geworden. In einer möglichen Kollision der unterschiedlichen Ansprüche sehen Väter die Elternschaft vermehrt als schwierige und komplexe Aufgabe – und das bereits vor der Geburt eines Kindes. Nach Susanne Schneider (2014)[1], „… sind Eltern heute vielfältigem Druck ausgesetzt (durch Finanzen, Organisation, Leistung im Beruf, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Partnerschaft, Erziehungs- und Bildungserfolg u.v.m.). Hierdurch werden sie stärker verunsichert und gestresst als frühere Elterngenerationen.“ Je höher aber die Ansprüche an Vaterschaft sind, desto niedriger ist der Kinderwunsch – der Wunsch nach Perfektion erschwert die Elternschaft.

Der Weg in die Kinderlosigkeit

Auch wenn die Mehrheit der jungen Männer (und Frauen) gerne Kinder möchte, klaffen Wunsch und Wirklichkeit deutlich auseinander. Männer bleiben häufiger kinderlos als Frauen, wie verschiedene Studien zeigen.[2] So ist z. B. bei kinderlosen Männern ab 45 Jahren die Wahrscheinlichkeit, noch Vater zu werden, sehr gering. Insgesamt bleibt mehr als jeder fünfte Mann dauerhaft kinderlos. Die größte Gruppe besteht aus Männern, die die Familienplanung immer weiter verschleppen – bis zu einem Zeitpunkt, an dem Kinder nicht mehr gewünscht sind oder nicht mehr geboren werden können. Auch ist nicht immer eine geeignete Partnerin in Sicht, die berufliche Karriere wird der Vaterschaft vorgezogen oder die wirtschaftliche Situation als zu risikoreich eingestuft.[3] Die zweite Gruppe bilden die Paare, die Kinder bekommen könnten, aber zu Beginn ihrer Liebesbeziehung unentschlossen sind, sich nicht auf einen Zeitpunkt verständigen oder sich generell dem Thema nicht nähern. Die dritte Gruppe sind diejenigen, die sich relativ früh im Leben gegen Kinder entscheiden.[4]

Vaterrolle in Perfektion contra Kinderwunsch

Viele Männer haben den Wunsch, nach der Familiengründung ein neuer, moderner Vater zu sein. Sie möchten viel Zeit mit den Kindern verbringen, möchten am Alltag beteiligt sein und Verantwortung in der Erziehung übernehmen. (vgl. Vorwerk, 2013, Familienstudie). 44 Prozent der Männer wollen Elternzeit nehmen. Ein Drittel der Männer kann sich vorstellen, nur halbtags zu arbeiten. Etwa 17 Prozent der Männer würden sogar ganz zu Hause bleiben und sich um das Kind kümmern, damit die Partnerin im Beruf bleiben kann. Nach einer Studie des Bundesinstitutes für Bevölkerungsforschung (2015)[5] glauben Männer heute oft, beides sein zu müssen: Der klassische Vater, der das Familieneinkommen bestreitet, und der aktive Vater, der sich gleichberechtigt in die Betreuung und Erziehung der Kinder einschaltet. Unter den Männern, die sich für Nachwuchs entscheiden, gibt es einen wachsenden Trend zu engagierter Vaterschaft. Kindererziehung und Haushalt werden in das Männerbild integriert. Die enge Beziehung zu ihrem Kind und die vielfältigen Erlebnisse rund um die Versorgung und Erziehung bedeuten für diese Väter persönliches Glück. Zugleich können Väter und Mütter heute mehr denn je kompetente Hilfe in Anspruch nehmen: Eine große Zahl von Beratungs- und Unterstützungsangeboten steht zur Verfügung (z. B.: Familienberatungsstellen, Ratgeber, Apps, Internet etc.).

Vom Familienernährer zum Basisversorger

Obwohl Männer die Berufstätigkeit von Frauen mehrheitlich positiv sehen, bedeutet das nicht automatisch, dass sich das Leitbild von Männlichkeit und Vaterschaft gleichermaßen gewandelt hat.[6] Im Kern basiert das Selbstbild des Mannes/Vaters weiterhin auf Merkmalen, die einen Schwerpunkt auf Beruf und die Rolle des Familienernährers legen. In einer Väterbefragung (Kastner, 2015) erhielten folgende Aussagen: „Die Familie gut versorgen“ (76 Prozent), „berufliche Kompetenz/Fachmann sein“ (60 Prozent) und „Leistungsorientierung/Ehrgeiz“ (57 Prozent) nach wie vor hohe Zustimmung.[7] Das Leitbild von Männlichkeit und Vaterschaft wird komplexer, ohne dass es sich bisher jedoch grundlegend verändert hat. Neu eingeführte Familienleistungen wie das ElterngeldPlus setzen demgegenüber Anreize für eine stärkere Beteiligung der Väter an der Familienarbeit. In die gleiche Richtung weist die Entwicklung eines neuen Leitbilds, das zunehmend an Bedeutung gewinnt: der Mann als moderner Basisversorger (BMFSFJ, 2013)[8]. Dieses Leitbild ist dadurch charakterisiert, dass es weiterhin auf Existenzsicherung und Erwirtschaftung des Familieneinkommens bezogen bleibt, die Verantwortung dafür aber nicht mehr allein dem Mann beziehungsweise Vater zuweist. Zudem enthält es verstärkt gleichheitsorientierte Auffassungen von Partnerschaft und Persönlichkeitsmerkmale. Beide Leitbilder, Familienernährer und moderner Basisversorger, stehen heute parallel nebeneinander. 45 Prozent der Mütter und 41 Prozent der Väter präferieren das Leitbild des Basisversorgers: Sie sehen beide Partner in der Verantwortung, zu etwa gleichen Teilen zum Familieneinkommen beizutragen. (vaeter.nrw)   [1]     Susanne Schneider (2014), Die Bedeutung der Medien vor der Geburt, Springer Verlag[2]     Karsten Kassner, 2014,  Väter heute: Leitbilder, Lebensrealitäten und Wünsche http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/familienpolitik/185323/vaeter-heute [3]     BIB 02/2015,  Gewollt oder ungewollt? Der Forschungsstand zu Kinderlosigkeit Jürgen Dorbritz, Ralina Panova und Jasmin Passet-Wittig[4]     BIB 02/2015, ebenda, S. 35[5]     BIB 02/2015, ebenda, S. 36[6]     Karsten Kassner, 2014, Väter heute: Leitbilder, Lebensrealitäten und Wünsche http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/           familienpolitik/185323/vaeter-heute[7]     BIB 02/2015,  Gewollt oder ungewollt? Der Forschungsstand zu Kinderlosigkeit Jürgen Dorbritz, Ralina Panova und Jasmin Passet-Wittig[8]     BIB 02/2015, ebenda, S. 35[9]     BIB 03/2015, LEIDbild Elternschaft, PM[10]   Karsten Kassner, 2015, Väter heute: Leitbilder, Lebensrealitäten und Wünsche http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/           familienpolitik/185323/vaeter-heute[11]   Karsten Kassner, 2015, ebenda[12]   MFSFJ (Hg.) (2013): Jungen und Männer im Spagat: Zwischen Rollenbildern und Alltagspraxis. Eine sozialwissen       schaftliche Untersuchung zu Einstellungen und Verhalten, S. 13 ff, Berlin    Text aktualisiert am 9. Juni 2016

Papa über Umwege

Ungeplante Vaterschaft

Eigentlich führt das Wort Familienplanung in die Irre: Bestenfalls das Nicht-Kinderkriegen lässt sich halbwegs planen. Tatsächlich leiden viele Paare unter ihrem unerfüllten Kinderwunsch. Ein Paar aus Duisburg hatte die Hoffnung längst aufgegeben und sich in einem kinderlosen Leben eingerichtet, als dann doch der Nachwuchs kam.
Wie bei der Ziehung einer Lotterie kam Jan* sich vor, als ihm seine Frau im Sommer 2010 sagte, dass die Periode lange überfällig sei und sie jetzt mal einen Schwangerschaftstest machen sollten. „Wir waren unheimlich aufgeregt. Mussten nochmal nachlesen, ob der zweite Strich auf dem Tester wirklich heißt, dass Daniela schwanger ist.“ Spätestens die Untersuchung beim Frauenarzt ließ keinen Zweifel mehr: Lange nachdem sie das Kinderthema aus ihrem Leben gestrichen hatten, war es plötzlich passiert. Vorausgegangen waren sechs verzweifelte Jahre.

Alles passt – fast

Angefangen hatte es im Jahr 2000 wie bei vielen Paaren: Während des Studiums in Duisburg hatten sie sich in kennengelernt, verliebt und waren zusammengezogen. Sie genossen ihr freies Leben, die Abende im Kino, in Restaurants oder bei Konzerten. Sie heirateten 2005. Jan bekam eine Stelle als Lehrer in Geldern, Daniela arbeitete als Sozialpädagogin in Duisburg. Weil er aber jeden Tag fast eine Stunde zur Schule fahren musste, schauten sie sich nach einer Wohnung auf dem Land zwischen Duisburg und Geldern um. Nicht so schön wie ihre Altbauwohnung in Duisburg, aber größer – und kindgerecht. Denn mittlerweile war der Wunsch nach einer Familie gewachsen. „Alles lief bei uns so glatt, dass wir dachten, mit dem Kinderkriegen würde es genauso weitergehen“, sagt Jan. „Aber das war nicht so. Am Anfang haben wir noch Witze darüber gemacht, nach rund einem halben Jahr kamen allerdings die Zweifel.“ War einer von beiden unfruchtbar, wie die Frauenärztin vermutete? Sie ließen sich untersuchen. Kein Befund, alles ok. Als nächstes empfahl die Frauenärztin eine Hormontherapie – und das Kinderkriegen wurde zum Projekt. Mit der Hormonbehandlung stieg für beide die psychische Belastung. Jan litt darunter etwas weniger als Daniela, aber auch er spürte den Druck: „Wir haben angefangen, unseren Sex genau zu planen. Alle Faktoren sollten optimal sein. Nur Romantik und Freude hatten da wenig Platz.“ Inzwischen drehten sich ihre Gespräche kaum noch um ein anderes Thema. Während Jan und Daniela auf die nächsten fruchtbaren Tage warteten, bekamen ihre Freunde der Reihe nach Kinder. „Wir haben uns das Leben schwer gemacht“, erinnert sich Jan, „Strichlisten und Statistiken geführt, wer noch ohne Kind war. Es wurden immer weniger und unsere Sozialkontakte genauso.“ Schließlich bekommen sie von einer Ärztin den Rat, es mit künstlicher Befruchtung zu versuchen. „Da haben wir gesagt: Halt, stopp! Wir begriffen, dass es Zeit wird, den Fuß vom Gas zu nehmen und etwas an unserer Einstellung zu ändern.“ Sie besuchten ein paar Mal eine Selbsthilfegruppe. Dort allerdings überbot man sich mit Tipps, welche Medikamente auszuprobieren seien, welche Ärzte bestimmte Therapien anbieten und wie man Leihmütter findet. „Es wird bessere Gruppen geben, aber in der wären wir keinen Schritt weiter gekommen.“

Umschwenken im Kopf

Stattdessen wandten sie sich an eine Psychotherapeutin. Sie gab ihnen die Aufgabe, zu lernen, dass sie auch ohne Kind ein glückliches und erfülltes Leben führen können. Dass sie die Vorteile entdecken und genießen sollten und in sich nach anderen Wünschen und Aufgaben forschen. Tatsächlich erwies sich die Frage nach anderen Lebenswünschen als entscheidend: Ein Leben auf dem Land wäre für Kinder bestimmt schön gewesen, ihr Ding war es aber nicht. Also zogen sie wieder in eine Duisburger Altbauwohnung. „Wir waren DINKs wie aus dem Bilderbuch [Anm. d. Red.: Double Income No Kids; engl. Abkürzung für kinderlose Paare mit doppeltem Einkommen], finanziell und familiär unabhängig. Wir haben einfach die Sau raus gelassen: Partys, Reisen und gutes Essen. Zunächst, um uns abzulenken und zu trösten. Aber wir merkten, welche Wünsche uns wirklich umtrieben“, sagt Jan. Daniela hatte vor Jahren die Idee, als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin zu arbeiten, dies aber hinten angestellt – die Familienplanung ging vor. Jetzt begann sie mit der Ausbildung. Auch Jan half ein Blick in seine Vergangenheit: Er spielte schon als Schüler E-Gitarre und nutzte jetzt die Gelegenheit, seine eigene Band zu gründen, Songs zu schreiben und möglichst viel aufzutreten. „Wir fühlten uns richtig gut, nachdem wir verstanden, dass das Leben andere Dinge bereithält und wir nicht weitere Jahre einem Idealbild hinterher rennen müssen.“

Weniger Plan als Glück

Nach einem dreiviertel Jahr hatten sie sich mit der Kinderlosigkeit völlig arrangiert. Und genau in dieser Phase passierte es dann doch: Bruno war unterwegs und die Geburt wurde für den Februar 2012 ausgerechnet. „Wie ein Wunder. Völlig überraschend platzte die Nachricht in unser neues Leben. Soweit man das sagen kann, hatten wir damit wirklich abgeschlossen. Und doch fühlte es sich zu diesem Zeitpunkt unglaublich richtig an“, sagt Jan. Natürlich hätten sie gerne schon Jahre früher ein Kind bekommen. Aber für beide war es wichtig, ihre anderen Träume ausgelebt zu haben und sich ohne jeden Druck auf das Kind freuen zu können: „Wir sind in der Zeit reifer, reflektierter und entspannter geworden. Wir konnten begeisterte Eltern werden und das Kind als Geschenk sehen, nicht als selbstverständliches Ergebnis eines Projektplans.“  *Alle Namen von der Redaktion geändert. (vaeter.nrw) Text aktualisiert am 11.06.2016