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Die familienfreundliche Chefetage

Die familienfreundliche Chefetage

Vereinbarkeit

Immer mehr Unternehmen möchten die Flexibilität ihrer Führungskräfte fördern – und so auch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf erreichen. Aber es hapert noch bei der Umsetzung. Nina Bessing von der EAF Berlin (Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft Berlin e. V.) hat sich im Rahmen des Projektes „FleXship“ mit der Frage beschäftigt, wie Vereinbarkeit in Führung verwirklicht werden kann.
vaeter.nrw: Frau Bessing, eigentlich sind sich alle einig: Angestellte Eltern, politische Akteure und Unternehmen wünschen sich eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Gerade in den Führungsebenen scheint die Umsetzung aber nicht recht zu klappen.Nina Bessing: Das bislang Erreichte ist sicherlich noch ein zartes Pflänzchen – aber die Richtung stimmt. Dabei ist es interessant, sich die verschiedenen Führungsebenen und Modelle genauer anzuschauen: Maßnahmen wie Home-Office und die Flexibilisierung der Arbeitszeiten existieren auf der mittleren Führungsebene heute bereits in fast jedem Unternehmen. Modelle wie reduzierte Vollzeit oder Jobsharing sind vereinzelt vorhanden. Zusätzlich existiert eine Dunkelziffer an Fällen, bei denen Maßnahmen „unter der Hand“ vereinbart wurden. Doch in Top-Führungspositionen sind flexible Modelle sehr selten.
vaeter.nrw: Wie hat man sich das vorzustellen?Nina Bessing: Wenn beispielsweise ein Vater aus der mittleren Führungsebene seine Arbeitszeit reduzieren oder von zu Hause arbeiten will, schwingt oft die Sorge mit, dass dieser Schritt die Karriere ausbremsen könnte. Außerdem ist die Befürchtung weit verbreitet, dass Begehrlichkeiten bei den Kollegen entstehen, wenn mit dem Thema zu offen umgegangen wird. Das Problem dabei ist eine bestimmte Vorstellung von Leistung – besonders im Top Management. Dort demonstriert man seinen Arbeitsethos häufig durch auffallend lange Arbeitszeiten und die Präsenz im Betrieb. Andererseits ist klar, dass Homeoffice oder flexible Arbeitszeiten bei 60 Wochenstunden auch kein großer Gewinn für die Familie sind. Beides führt zu verschwimmenden Grenzen und Übergriffen von der Arbeit in das Privatleben. Gerade in Führungspositionen ist Selbstkontrolle dann eine wichtige Eigenschaft, um nicht daheim mit der halben Aufmerksamkeit in Jobthemen zu hängen. Für viele Führungskräfte ist diese Vermischung allerdings Alltag.
vaeter.nrw: Fehlt denn im Topmanagement vielleicht der Wille, Vereinbarkeit in der Unternehmenskultur fest zu verankern?Nina Bessing: Nein. Der Wille ist fast überall zu erkennen. Es geht in den Unternehmen aber oft um ernstzunehmende Schwierigkeiten, das Gewünschte im Arbeitsprozess auch umzusetzen: Umfassende Flexibilisierung oder Reduzierung der Arbeitszeit brauchen eine neue Organisation und eine andere Art des Führens. Wenn im Team flexibler gearbeitet wird, steigt für die Führungskräfte insbesondere zu Beginn der Einführung neuer Modelle erst einmal der Managementaufwand: Wer übernimmt welche Aufgaben? Wie lassen sich die Arbeitsergebnisse von Kollegen und Kolleginnen mit Vertrauensarbeitszeit kontrollieren? Wie verteilt man die Arbeitslast ausgewogen auf das Team, sodass die Kundschaft weiterhin zufrieden ist? Wie berücksichtigt man die individuelle Lebenssituation einer Mitarbeiterin, die beispielsweise keine Familie hat … Da wird es verständlich, dass jemand der ohnehin einen vollen Schreibtisch hat, etwas zurückschreckt.
vaeter.nrw: Und in dem Fall, dass ein Vater in Führungsposition für sich selbst mehr Familien-Raum schaffen möchte?Nina Bessing: Wenn das bislang nicht gelebt wurde, setzt es einige Umgewöhnung voraus: Solche Väter müssen dann lernen, Kompetenzen und Verantwortung abzugeben und Aufgaben klug zu delegieren. Wer seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nicht in die Lage versetzt, von ihnen vertreten zu werden, zementiert den eigenen Unersetzbarkeitsstatus. Führungskräfte, die weniger oder flexibler arbeiten möchten, sollten das also frühzeitig vorbereiten. Wichtig ist dabei auch, sich die Zusammensetzung des Teams genau anzuschauen: Wer eignet sich wofür? Wem entspricht es vielleicht eher, mit mehr Verantwortung und Autonomie zu arbeiten – und wem weniger?
vaeter.nrw: Wenn der Weg dahin also schwierig ist, wie schaffen es Führungskräfte, dass ihr Vorhaben im Unternehmen mitgetragen wird?Nina Bessing: Zunächst gilt für Führungskräfte und Angestellte das Gleiche: Wichtig ist immer, sich zusammenzutun. Es gibt wahrscheinlich in allen Betrieben genug Väter, die ähnliche Wünsche und Pläne haben. Wenn man sich austauscht, organisiert und seine Vorstellungen gemeinsam kommuniziert, bekommen sie mehr Gewicht. Väter sollten Netzwerke bilden und sich in anderen Betrieben umhören, wie es dort gemacht wird.
vaeter.nrw: Wie haben denn Unternehmen, die erfolgreich Vereinbarkeitsmodelle einsetzen, ihre Probleme gelöst?Nina Bessing: Der Wunsch nach mehr Vereinbarkeit muss quer durch das Unternehmen Unterstützer finden. Von der Spitze bis zu den Angestellten. Beispielsweise hat die Telekom verschiedene Pilot-Programme gestartet, die für alle Teilnehmer eine Art Schutzraum bilden. Hier sollen die Leute Arbeitsmodelle ausprobieren, ohne Angst um die Karriere zu haben. Dazu gehören zum Beispiel Vertrauensarbeitszeit, und dass die festen Arbeitsplätze aufgehoben wurden – wer ständig neben anderen Kollegen sitzt, muss eigenverantwortlicher arbeiten und die Kolleginnen, Kollegen und Vorgesetzten wissen nicht unbedingt, wann man arbeitet oder nicht. Dadurch werden die Strukturen auf verschiedenen Ebenen verändert und für die Führungskräfte ist es wichtiger, Arbeits- und Projektergebnisse zu bewerten als Präsenzzeiten.
vaeter.nrw: Gab es keine Sorge, dass die Produktivität sinkt, wenn Kontrolle durch mehr Eigenverantwortung ersetzt wird?Nina Bessing: Tatsächlich reduzieren sich vor allem unproduktive Arbeitsstunden. Wenn man seine Arbeitszeit „absitzt“ um Präsenz zu zeigen, vertut man automatisch viel Zeit mit sinnlosen Dingen. In diesen Programmen zeigt sich aber, wie Flexibilität zu mehr Konzentration und Motivation führt. Interessant sind auch die Erkenntnisse aus Jobsharing-Modellen: Weil sich mehrere Menschen einen Aufgabenbereich teilen, gibt es zwangsweise mehr Zusammenarbeit in Kleinstteams. Das wiederum bedeutet einen stärkeren Austausch im Team und darauf folgt eine merkliche Qualitätssteigerung. Auch die Innovationsfreude wächst im Unternehmen. Schließlich können sich die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nicht mehr einfach auf das Urteil ihrer jeweiligen Vorgesetzten verlassen, sondern müssen selbst kreativ werden, um Probleme zu lösen. Diese Erfahrungen sind gute Argumente für Unternehmen, etwas mutiger zu werden und neue Ansätze zu probieren.
Zur Person:

Nina Bessing, EAF Berlin

Nina Bessing ist Director in den Themenfeldern HR-Management und Training in der EAF Berlin und strategische Leiterin des Projektes „FleXship“. Die EAF Berlin begleitet Organisationen in Veränderungsprozessen für mehr Vielfalt in Führung. Als unabhängiges Institut arbeitet sie an der Schnittstelle von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Sie berät zu den Themen Vielfalt und Chancengleichheit, Karriere und Führung, Vereinbarkeit und Resilienz sowie Politik und Partizipation. Sie konzipiert und realisiert innovative Programme und Trainings zur Personal- und Organisationsentwicklung. Eigene Studien und Forschungsprojekte runden die Expertise der EAF Berlin ab.Der Leitfaden „Flexibles Arbeiten in Führung“ der EAF als Download.   

Themen Die familienfreundliche Chefetage

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